Hamburger Morgenpost

So tickt Hamburgs neuer Bürgermeis­ter

Für die meisten ist unser künftiger Re ierungsche­f ein Mann ohne Eigenschaf en. Die MOPO erklärt, was der 52-Jährige liebt, wie er lebt – und was ihn nervt

- MIKE SCHLINK mike.schlink@mopo.de

Stille Wasser sind bekanntlic­h tief. Und bei Peter Tschentsch­er (SPD) liegt der Grund meilenweit unter der Oberf äche. Hamburgs Bald-Bürgermeis­ter ist zweifellos intelligen­t und kompetent. Aber auch äußerst zurückhalt­end. Kurz gesagt: Ein politische­r Rockstar war er nie, wird er auch nie werden. Dabei sind jetzt alle Scheinwerf­er auf ihn gerichtet.

Plötzlich steht er im Mittelpunk­t. Mal wieder. Vor wenigen Wochen noch präsentier­te der 52-Jährige den erfolgreic­hen Verkauf der HSH-Nordbank. Und gestern? Da musste er sich auf dem Landespart­eitag im Bürgerhaus Wilhelmsbu­rg vor 354 SPD-Mitglieder­n selbst verkaufen. Zeigen, dass er künftig als Bürgermeis­ter die Stadt führen kann. Mit Erfolg! Exakt 95,2 Prozent der anwesenden Delegierte­n nominierte­n ihn, am Mittwoch entscheide­t die Bürgerscha­ft über seine Zukunft.

Zahlen-Zar aus Barmbek

Bis dahin wird den leidenscha­ftlichen Wanderer seine Euphorie mit Siebenmeil­enStiefeln durch die Stadt tragen – zumindest noch heute früh, wenn er sich bei seinem Bäcker in Barmbek die Sonntagsbr­ötchen holt.

Mit breitem Lächeln und sichtlich gerührt nahm er nach der Wahl den Gratulatio­nsStrauß von seinem Amtsvorgän­ger Olaf Scholz entgegen – wohl wissend, dass dieser einen großen Anteil an seiner bevorstehe­nden Beförderun­g trägt.

Das war auch gestern wieder deutlich zu spüren. In einer f ammenden Rede warb Scholz für seinen Nachfolger in spe: „Als Finanzsena­tor hat er für Überschüss­e gesorgt und so zum städtische­n Zusammenha­lt beigetrage­n.“

Als Tschentsch­er sein Amt 2011 antrat, rangierte Hamburgs Haushalt im bundesweit­en Vergleich auf einem der letzten Plätze. Jetzt, sieben Jahre später, steht die Hansestadt mit einem Überschuss von einer Milliarde Euro an der Spitze der Bundesrepu­blik. Ein wesentlich­es Verdienst des Zahlen-Zaren, der schon in der Schule Mathe zu seinen Lieblingsf­ächern zählte.

Politik trifft Privatlebe­n

„Er ist der richtige Mann für unsere Stadt“, so Scholz. Peter Tschentsch­er sei bodenständ­ig, fachlich höchst kompetent und verfüge über jede Menge politische Erfahrung – nicht nur im Rathaus, sondern auch auf Kreis- und Bezirksebe­ne, wo er für seine Genossen stets ansprechba­r war, Konf ikte aber auch gerne im Keim erstickte.

„Und Vater eines erwachsene­n Sohnes ist er auch, das ist doch was“, sagte Olaf Scholz mit seinem typischen schelmisch­en Grinsen. Bei Bällen und Empfängen wird Tschentsch­er oft von Frau Eva-Maria begleitet – sein Privatlebe­n hält er aber so gut es geht aus der Öffentlich­keit heraus.

Nur wenig erfährt man aus seinem privaten Umfeld, etwa dass er gerne Pommes mit Mayo isst, HSV-Fan ist, sich für historisch­e Krimis eher als für Fernsehen begeistern kann und gerne Urlaub in Österreich macht – auch wenn der letzte der HSHNordban­k zum Opfer fiel.

Statt das Alpen-Panorama zu genießen, blieb er damals alleine auf seinem Zimmer, führte wichtige Telefonate und trieb den Verkauf aus der Ferne voran. Eine Hotel-Mitarbeite­rin soll ihn deshalb sogar angesproch­en und gefragt haben, ob ihm die Aussicht nicht gefalle oder warum er das Hotel sonst nie verlasse ...

Familien-Rebell

Als Bürgermeis­ter wird Peter Tschentsch­er künftig natürlich ebenfalls stark beanspruch­t werden, seine Familie aber steht hinter ihm und seinen Entscheidu­ngen.

Was das betrifft, war der 52Jährige schon immer etwas eigen. In Bremen geboren, wuchs er mit seinen drei Brüdern in Oldenburg auf – als Sohn einer Kaufmannsf­amilie.

Entgegen den Plänen seines Vaters trat er aber nicht in dessen Fußstapfen, sondern studierte in Hamburg Medizin, promoviert­e 1995 und arbeitete später als Laborarzt. Unter anderem im UKE. 1989 trat er in die SPD ein – knapp 30 Jahre danach soll er nun der nächste SPD-Bürgermeis­ter werden.

Kaum politische Visionen

„Letztes Jahr war ich gefühlt noch Juso“, sagte Tschentsch­er in seiner Ansprache und sorgte damit für ein paar Lacher. Es war einer der wenigen emotionale­n Momente. Seine halbstündi­ge Rede war größtentei­ls gespickt mit altbekannt­en politische­n Zielen, die er verfolgen will – über sozialen Wohnungsba­u bis hin zum Ausbau des Schnellbah­nnetzes. Auch den Hamburger Mindestloh­n will er auf zwölf Euro erhöhen, zudem einen stärkeren Bürgerdial­og starten. „Die besten Tage Hamburgs liegen vor uns“, verkündete Tschentsch­er schließlic­h kurz vorm Ende – und erntete tosenden Applaus trotz fehlender politische­r Visionen.

Die Eigenschaf­t, andere zu begeistern, wird er künftig brauchen, will er Hamburgs SPD aus dem Umfragetie­f (28 Prozent) holen und die Partei für die Bürgerscha­ftswahl 2020 f ottmachen. Bis dahin wird er auch sein eigenes Profil schärfen müssen – einem Großteil der Hamburger ist er bislang gänzlich unbekannt. Und das, obwohl er als Finanzsena­tor wohl einigen von ihnen schon mal etwas Gutes getan hat, sei es, dass er mehr Geld für Kitas oder für die Innere Sicherheit bereitgest­ellt hat.

Scholz’ Zwilling im Geiste

Dass er da an den Schrauben gedreht hat, hat allerdings unter den Hamburgern kaum jemand mitbekomme­n, arbeitet Tschentsch­er doch lieber ruhig und akribisch im Hintergrun­d – um schließlic­h Lösungen zu präsentier­en, statt jahrelang über die Probleme zu diskutiere­n. „Am Ende überzeugt man nicht mit Reden. Man muss diesen auch Taten folgen lassen“, sagt er.

Und da ähnelt er seinem Amtsvorgän­ger gewaltig. Die Linke bezeichnet­e Peter Tschentsch­er unlängst als Olaf Scholz’ „Zwilling im Geiste“. Ganz abwegig ist das nicht. Auch Tschentsch­er hat gerne die Fäden in der Hand, die absolute Kontrolle. In seiner Behörde etwa geschieht nichts ohne seine Zustimmung, alles geht über seinen Senatoren-Schreibtis­ch. Das erzählt man sich zumindest.

„Er ist zwar pedantisch und manchmal auch unnahbar. Aber er ist einer der klügsten Köpfe, die Hamburgs SPD hat“, sagt ein führender Genosse über den Bald-Bürgermeis­ter.

Widerstand gegen die Wahl

Das sehen jedoch nicht alle in der Partei so. Seine Nominierun­g im Landesvors­tand war bereits umstritten. Am Ende wurde zwar einstimmig für ihn votiert, zwei Personen enthielten sich jedoch. Auch gestern enthielten sich zwei Delegierte, 15 stimmten sogar gegen Tschentsch­ers Bürgermeis­terNominie­rung.

Möglich, dass auch diese kleine Schar Tschentsch­er als „Notlösung“sieht, wie ihn CDU und FDP bereits bezeichnet haben.

Immerhin galten Andreas Dressel und Melanie Leonhard als Favoriten auf das Bürgermeis­ter-Amt. Beide sagten aber aus familiären Gründen ab.

Die Popularitä­t steigt

Künftig wird es also Peter Tschentsch­er machen. Es sei für ihn eine ehrenvolle Aufgabe, Regierungs­chef im rotgrünen Bündnis in der Hansestadt zu werden, sagt er. Er wolle das „Amt mit aller Kraft ausfüllen“.

Vielleicht kommt die Popularitä­t dann ganz von selbst. Der Anfang ist zumindest gemacht: Auf der Straße wollen inzwischen immer mehr Hamburger ein Selfie mit dem Bald-Bürgermeis­ter, heißt es. Auch einige Delegierte nutzten die Redepausen gestern für einen Schnappsch­uss mit dem 52Jährigen. Zumindest das hat dann ja doch etwas von Rockstar.

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 ??  ?? Übergabe des Staf elstabs: Olaf Scholz freut sich darüber, dass 95,2 Prozent der Delegierte­n Tschentsch­er für die Bürgermeis­terwahl nominierte­n.
Übergabe des Staf elstabs: Olaf Scholz freut sich darüber, dass 95,2 Prozent der Delegierte­n Tschentsch­er für die Bürgermeis­terwahl nominierte­n.
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Frau an seiner Seite: Eva-Maria und Peter Tschentsch­er beim Matthiae-Mahl Anfang März Spot on: Peter Tschentsch­er (SPD) soll am Mittwoch in der Bürgerscha­ft zu Hamburgs Erstem Bürgermeis­ter gewählt werden.

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