So tickt Hamburgs neuer Bürgermeister
Für die meisten ist unser künftiger Re ierungschef ein Mann ohne Eigenschaf en. Die MOPO erklärt, was der 52-Jährige liebt, wie er lebt – und was ihn nervt
Stille Wasser sind bekanntlich tief. Und bei Peter Tschentscher (SPD) liegt der Grund meilenweit unter der Oberf äche. Hamburgs Bald-Bürgermeister ist zweifellos intelligent und kompetent. Aber auch äußerst zurückhaltend. Kurz gesagt: Ein politischer Rockstar war er nie, wird er auch nie werden. Dabei sind jetzt alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet.
Plötzlich steht er im Mittelpunkt. Mal wieder. Vor wenigen Wochen noch präsentierte der 52-Jährige den erfolgreichen Verkauf der HSH-Nordbank. Und gestern? Da musste er sich auf dem Landesparteitag im Bürgerhaus Wilhelmsburg vor 354 SPD-Mitgliedern selbst verkaufen. Zeigen, dass er künftig als Bürgermeister die Stadt führen kann. Mit Erfolg! Exakt 95,2 Prozent der anwesenden Delegierten nominierten ihn, am Mittwoch entscheidet die Bürgerschaft über seine Zukunft.
Zahlen-Zar aus Barmbek
Bis dahin wird den leidenschaftlichen Wanderer seine Euphorie mit SiebenmeilenStiefeln durch die Stadt tragen – zumindest noch heute früh, wenn er sich bei seinem Bäcker in Barmbek die Sonntagsbrötchen holt.
Mit breitem Lächeln und sichtlich gerührt nahm er nach der Wahl den GratulationsStrauß von seinem Amtsvorgänger Olaf Scholz entgegen – wohl wissend, dass dieser einen großen Anteil an seiner bevorstehenden Beförderung trägt.
Das war auch gestern wieder deutlich zu spüren. In einer f ammenden Rede warb Scholz für seinen Nachfolger in spe: „Als Finanzsenator hat er für Überschüsse gesorgt und so zum städtischen Zusammenhalt beigetragen.“
Als Tschentscher sein Amt 2011 antrat, rangierte Hamburgs Haushalt im bundesweiten Vergleich auf einem der letzten Plätze. Jetzt, sieben Jahre später, steht die Hansestadt mit einem Überschuss von einer Milliarde Euro an der Spitze der Bundesrepublik. Ein wesentliches Verdienst des Zahlen-Zaren, der schon in der Schule Mathe zu seinen Lieblingsfächern zählte.
Politik trifft Privatleben
„Er ist der richtige Mann für unsere Stadt“, so Scholz. Peter Tschentscher sei bodenständig, fachlich höchst kompetent und verfüge über jede Menge politische Erfahrung – nicht nur im Rathaus, sondern auch auf Kreis- und Bezirksebene, wo er für seine Genossen stets ansprechbar war, Konf ikte aber auch gerne im Keim erstickte.
„Und Vater eines erwachsenen Sohnes ist er auch, das ist doch was“, sagte Olaf Scholz mit seinem typischen schelmischen Grinsen. Bei Bällen und Empfängen wird Tschentscher oft von Frau Eva-Maria begleitet – sein Privatleben hält er aber so gut es geht aus der Öffentlichkeit heraus.
Nur wenig erfährt man aus seinem privaten Umfeld, etwa dass er gerne Pommes mit Mayo isst, HSV-Fan ist, sich für historische Krimis eher als für Fernsehen begeistern kann und gerne Urlaub in Österreich macht – auch wenn der letzte der HSHNordbank zum Opfer fiel.
Statt das Alpen-Panorama zu genießen, blieb er damals alleine auf seinem Zimmer, führte wichtige Telefonate und trieb den Verkauf aus der Ferne voran. Eine Hotel-Mitarbeiterin soll ihn deshalb sogar angesprochen und gefragt haben, ob ihm die Aussicht nicht gefalle oder warum er das Hotel sonst nie verlasse ...
Familien-Rebell
Als Bürgermeister wird Peter Tschentscher künftig natürlich ebenfalls stark beansprucht werden, seine Familie aber steht hinter ihm und seinen Entscheidungen.
Was das betrifft, war der 52Jährige schon immer etwas eigen. In Bremen geboren, wuchs er mit seinen drei Brüdern in Oldenburg auf – als Sohn einer Kaufmannsfamilie.
Entgegen den Plänen seines Vaters trat er aber nicht in dessen Fußstapfen, sondern studierte in Hamburg Medizin, promovierte 1995 und arbeitete später als Laborarzt. Unter anderem im UKE. 1989 trat er in die SPD ein – knapp 30 Jahre danach soll er nun der nächste SPD-Bürgermeister werden.
Kaum politische Visionen
„Letztes Jahr war ich gefühlt noch Juso“, sagte Tschentscher in seiner Ansprache und sorgte damit für ein paar Lacher. Es war einer der wenigen emotionalen Momente. Seine halbstündige Rede war größtenteils gespickt mit altbekannten politischen Zielen, die er verfolgen will – über sozialen Wohnungsbau bis hin zum Ausbau des Schnellbahnnetzes. Auch den Hamburger Mindestlohn will er auf zwölf Euro erhöhen, zudem einen stärkeren Bürgerdialog starten. „Die besten Tage Hamburgs liegen vor uns“, verkündete Tschentscher schließlich kurz vorm Ende – und erntete tosenden Applaus trotz fehlender politischer Visionen.
Die Eigenschaft, andere zu begeistern, wird er künftig brauchen, will er Hamburgs SPD aus dem Umfragetief (28 Prozent) holen und die Partei für die Bürgerschaftswahl 2020 f ottmachen. Bis dahin wird er auch sein eigenes Profil schärfen müssen – einem Großteil der Hamburger ist er bislang gänzlich unbekannt. Und das, obwohl er als Finanzsenator wohl einigen von ihnen schon mal etwas Gutes getan hat, sei es, dass er mehr Geld für Kitas oder für die Innere Sicherheit bereitgestellt hat.
Scholz’ Zwilling im Geiste
Dass er da an den Schrauben gedreht hat, hat allerdings unter den Hamburgern kaum jemand mitbekommen, arbeitet Tschentscher doch lieber ruhig und akribisch im Hintergrund – um schließlich Lösungen zu präsentieren, statt jahrelang über die Probleme zu diskutieren. „Am Ende überzeugt man nicht mit Reden. Man muss diesen auch Taten folgen lassen“, sagt er.
Und da ähnelt er seinem Amtsvorgänger gewaltig. Die Linke bezeichnete Peter Tschentscher unlängst als Olaf Scholz’ „Zwilling im Geiste“. Ganz abwegig ist das nicht. Auch Tschentscher hat gerne die Fäden in der Hand, die absolute Kontrolle. In seiner Behörde etwa geschieht nichts ohne seine Zustimmung, alles geht über seinen Senatoren-Schreibtisch. Das erzählt man sich zumindest.
„Er ist zwar pedantisch und manchmal auch unnahbar. Aber er ist einer der klügsten Köpfe, die Hamburgs SPD hat“, sagt ein führender Genosse über den Bald-Bürgermeister.
Widerstand gegen die Wahl
Das sehen jedoch nicht alle in der Partei so. Seine Nominierung im Landesvorstand war bereits umstritten. Am Ende wurde zwar einstimmig für ihn votiert, zwei Personen enthielten sich jedoch. Auch gestern enthielten sich zwei Delegierte, 15 stimmten sogar gegen Tschentschers BürgermeisterNominierung.
Möglich, dass auch diese kleine Schar Tschentscher als „Notlösung“sieht, wie ihn CDU und FDP bereits bezeichnet haben.
Immerhin galten Andreas Dressel und Melanie Leonhard als Favoriten auf das Bürgermeister-Amt. Beide sagten aber aus familiären Gründen ab.
Die Popularität steigt
Künftig wird es also Peter Tschentscher machen. Es sei für ihn eine ehrenvolle Aufgabe, Regierungschef im rotgrünen Bündnis in der Hansestadt zu werden, sagt er. Er wolle das „Amt mit aller Kraft ausfüllen“.
Vielleicht kommt die Popularität dann ganz von selbst. Der Anfang ist zumindest gemacht: Auf der Straße wollen inzwischen immer mehr Hamburger ein Selfie mit dem Bald-Bürgermeister, heißt es. Auch einige Delegierte nutzten die Redepausen gestern für einen Schnappschuss mit dem 52Jährigen. Zumindest das hat dann ja doch etwas von Rockstar.