Leute, Geld allein macht nicht glücklich!
Es lohnt sich, den Mut zu haben, seine Träume zu verwirklichen. Auch wenn das vielleicht finanzielle Opfer bedeuten kann
Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir mit Arbeit. Im besten Falle liebt man das, was man tut. Das trifft leider nicht auf alle zu. Aber was tun in diesem Fall? Einfach weitermachen? Anne Peter (30) aus Rotherbaum entschied sich für den anderen Weg. Die studierte Architektin warf alles hin und wurde Straßenmusikerin. Hier beschreibt sie, warum sie eine sichere Zukunft gegen ein Leben in finanzieller Unsicherheit tauschte – und warum jeder den Mut haben sollte, seinem Herzen zu folgen.
Mittwochnachmittag im Regionalexpress nach Kiel. Ich bin aus Versehen in den Berufsverkehr geraten. Ich hasse es, wenn das passiert. Die Leute drängen sich durch die schmalen Türen, nur manche finden Platz. 45 Minuten Fahrt im Stehen. „Na super“, denke ich und versuche, das Positive an der Situation zu sehen – immerhin ist dies nicht mehr mein Alltag. Ich finde einen Platz auf den Treppenstufen. Ein Mädchen steht mir gegenüber im Gang. Ständig drängeln sich Leute an ihr vorbei, sie ist genervt. Der Rest im Abteil starrt stumm auf sein Handy. Keiner lächelt. Eine gedrückte Stimmung macht sich breit. Auch in mir.
Zum Glück habe ich den Absprung vom Pendlerzug geschafft. Ich habe das im Volksmund so geläufige „Hamsterrad“verlassen. Ich wollte nicht, dass sich in meinem Leben alles um die Arbeit (und ums Geld) dreht. Noch weniger wollte ich, dass mit Mitte 30 ein dickes Monster namens „Burn-out“an meiner Tür hämmert. Ich kam direkt vom Studium, vom Osten in den Westen. Vom Land in die Stadt. Hier war alles so anders: Hamburger Großstadtdschungel, Anonymität, keine Freunde, Menschen die total anders waren als ich. Ich war Vollzeit-Praktikantin in einem Architekturbüro, unterbezahlt, überfordert und überarbeitet. Mein Leben spielte sich im immer gleichen Rhythmus ab. Büro – Essen – Schlafen. Nach nur sechs Monaten war mir klar: Ich muss etwas verändern. Mein Herz sagte mir, dass ich für etwas anderes gemacht bin. Ich begann, mich auf meinen lange beiseitegelegten Herzenswunsch – die Musik – zurückzubesinnen.
Meine Kollegen gingen in jeder Mittagspause essen. Das konnte ich mir nicht leisten. Ich nahm die Gitarre mit ins Büro und nutzte meine Pause, um auf der Straße zu singen. Was geschah, war großartig. Ich bekam viel Zuspruch, Ermutigung und erste Jobs. Ich beendete meine kurze Karriere als Architektin und fing an, mehr Musik zu machen.
Nur zögerlich erzählte ich Freunden und Familie von meinen Plänen, mich selbstständig zu machen. Ich hörte besorgte Sätze wie: „Überleg dir das gut, das ist nicht leicht“, „Musik unter-
richten, das ein echt harter Job. Damit verdienst du kein Geld.“Was ist denn heute bitteschön noch leicht? Kein Job der Welt ist einfach. Und Geld verdienen, das ist wichtig. Und viel davon. Sieben Jahre habe ich dieser „Irrlüge“Glauben geschenkt. In allen Jobs war ich bislang nur halbherzig bei der Sache.
Ohne Leidenschaft habe ich meine Arbeit verrichtet. Reiner Broterwerb.
Das hat mir nicht gereicht. Denn alles, was ohne Liebe geschieht, fällt auf unfruchtbaren Boden. Man streut den Samen, aber vergisst ihn zu gießen und dafür zu sorgen, dass er genug Licht bekommt.
Aber Licht bedeutet auch Schattenseiten, und die zeigen sich öfter als gedacht. Wenn ich krank werde, bedeutet das: keine Einnahmen. Urlaub? Dieses Jahr nicht drin. Meinen Job am Laufen zu halten, erfordert Disziplin, Motivation und ein gutes Selbstmanagement. Ich muss flexibel sein und mich auf immer neue Herausforderungen einlassen. Genau wie bei Firmengründungen sind Investitionen erforderlich. Zwar keine im Sinne eines Grundkapitals oder große materielle Anschaffungen, aber ich stecke viel Arbeit in die Projekte.
Ich unterrichte, trete auf, schreibe Songs, komponiere und arrangiere. Ich leiste mehr als vereinbart, versuche die Erwartungen zu übertreffen, damit ich Folgeaufträge bekomme. Bis hierhin war es ein langer Weg und er wird es auch bleiben.
Ich musste einiges an Willenskraft und Mut investieren, um schließlich dorthin zu gelangen, wohin mein Herz mich zog. Für meinen Traum habe ich einige Opfer erbracht: Ich habe meine Heimat verlassen. Ein paar Tausend Euro in eine musikalische Ausbildung investiert. Und meine letzte Beziehung ging in die Brüche, weil mein Lebensstil irgendwann nicht mehr zu dem meines Partners gepasst hat. Aber das hat sich alles ausgezahlt. Schon mehrfach. Und das tut es jedes Mal mehr, wenn sich während meiner Straßenauftritte ein Kind tanzend vor mich stellt. Ich kann sagen, dass ich einen Job mache, in den ich mein ganzes Herzblut stecke. Das konnte ich vorher nicht.
So gerne möchte ich meinen Mitreisenden hier im Abteil sagen: Seid mutiger, seid risikofreudig und gebt auf eure innere Stimme acht. Seid euch bewusst, dass ihr es seid, denen euer Leben gehört und dass Geld allein euch nicht glücklich machen wird. Wenn ihr meint, etwas verändern zu müssen, dann verändert etwas. Habt ein bisschen Fantasie, seid kreativ und dann wird es euch auch nicht mehr so schwerfallen, nervige Zugfahrten im Regioexpress nach Kiel zu überstehen.
Ohne Leidenschaft habe ich meine Arbeit verrichtet. Reiner Broterwerb. Das hat mir nicht gereicht. Anne Peter