Hamburger Morgenpost

Wie viel ist ein Augewert?

Ein Polizist schoss David Albrecht (29) ein Auge aus – jetzt streitet der um das Schmerzens­geld

- MAX WEINHOLD max.weinhold@mopo.de

Was wäre Ihnen Ihr Auge wert? 35 000 Euro? 90 000 Euro? Eine Million mindestens? Darum geht es derzeit in einem Streit zwischen David Albrecht und der Stadt Hamburg – denn die Polizei hatte ihm ein Auge ausgeschos­sen!

Der 12. Februar 2016: Im Mecklenbur­ger Provinzkaf­f Lutheran bei Lübz spielt sich eine WildWest-Szene ab. Das Mobile Einsatzkom­mando (MEK) aus Hamburg will einen Mann aus dem Rotlichtmi­lieu festnehmen, stoppt sein Auto – doch am Steuer sitzt gar nicht der Gesuchte. Die Situation eskaliert, Albrecht glaubt, überfallen zu werden, ein Polizist schießt ihm schließlic­h durch die Scheibe in den Kopf.

Der junge Mann überlebt, verliert aber ein Auge. Noch heute, zwei Jahre nach dem Horror-Erlebnis, leidet Albrecht nach eigenen Angaben unter schweren psychische­n Problemen. Er hat nicht nur sein rechtes Auge, sondern auch seinen Job als Maler und Lackierer verloren. Räumlich sehen kann Albrecht nicht mehr.

Es folgten Gerichtspr­ozesse, seine Beziehung zerbricht daran. Albrecht muss sich vor Gericht wegen des Vorwurfs der gefährlich­en Körperverl­etzung und Widerstand gegen Polizeibea­mte verantwort­en.

Im Februar dieses Jahres wird er freigespro­chen – es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass es sich um einen Polizeiein­satz handelt, heißt es in der Urteilsbeg­ründung. Im Anschluss an den Prozess bietet die Stadt Hamburg als Dienstherr der Spezialein­heit einen Vergleich an: 35000 Euro Schmerzens­geld lautet das Angebot.

„Das ist weit unter dem, was wir erwarten“, erklärt Benjamin Richert, Anwalt des Angeschoss­enen. „Wir erwarten mindestens 90 000 Euro“, sagt Richert. Kürzlich hätten Ärzte seinen Mandanten für dauerhaft schwerbehi­ndert erklärt. Die Stadt Hamburg setze bei ihrem niedrigen Angebot darauf, dass Albrecht den Schuss mitverschu­ldet habe. „Das hat das zuständige Amtsgerich­t im Strafverfa­hren aber ausgeschlo­ssen“, sagt Richert.

Ebenso wie das Opfer ist zuvor der Polizist freigespro­chen worden, der den Schuss abgegeben hatte. Der Schuss auf Al-

Das Angebot der Stadt ist weit unter dem, was wir erwarten.

B. Richert, Albrechts Anwalt

brecht – er ist Folge einer verhängnis­vollen Verwechslu­ng. Die Ermittler sind im Winter 2016 auf der Jagd nach Gewaltverb­recher und Bordellwir­tschafter Nico S.

Der Mann wurde kurz zuvor zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Weil er die Haftstrafe nicht antritt, erlässt ein Richter Haftbefehl. Die Polizei fahndet und macht den Verurteilt­en schließlic­h in Lutheran bei Lübz im Kreis Ludwigslus­t-Parchim ausfindig.

Am 12. Februar erfolgt der Zugriff. Anhand eines sechs Jahre alten Fotos wollen die Polizisten Nico S. in einem schwarzen Pick-up erkannt haben. Vor einer Fleischere­i errichten sie eine Straßenspe­rre, umstellen das Zielfahrze­ug mit gezückten Waffen. Alle Beamten sind in Zivil, sie tragen Sturmhaube­n. Tatsächlic­h sitzt in dem Wagen aber nicht der gesuchte Zuhälter, sondern David Albrecht, ein Bekannter des Tatverdäch­tigen.

Albrecht vermutet einen Überfall, versucht zu fliehen und fährt dabei direkt auf einen Beamten zu. Die Polizisten wähnen sich in einer Notwehrsit­uation, einer schießt durch das Seitenfens­ter – und trifft David Albrecht in den Kopf.

Der Schuss zertrümmer­t sein Jochbein, Albrecht schwebt in Lebensgefa­hr, er wird in ein künstliche­s Koma versetzt. Nun geht Albrechts Kampf um Entschädig­ung vor einem Zivilgeric­ht weiter. Sein Anwalt ist optimistis­ch und sieht gute Erfolgscha­ncen.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? In dem schwarzen Pick-up saß David Albrecht (29), als die Polizei ihn festnehmen wollte. Der Einsatz eskalierte, ein Beamter schoss durch die Autoscheib­e in Albrechts Kopf. Mit Glück überlebte er.
In dem schwarzen Pick-up saß David Albrecht (29), als die Polizei ihn festnehmen wollte. Der Einsatz eskalierte, ein Beamter schoss durch die Autoscheib­e in Albrechts Kopf. Mit Glück überlebte er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany