Hamburger Morgenpost

Hört auf, diese Frauen zu schikanier­en!

- Aufgezeich­net von Miriam Khan

Ärzte dürfen nicht für Abtreibung­en werben, steht im Grundgeset­z. Aber wo hört Informatio­n auf, wo fängt Werbung an? CDU und SPD haben sich über das Thema heftig zerstritte­n. Hier bezieht eine Hamburger Gynäkologi­n Position

Wer in Deutschlan­d ungewollt schwanger wird, hat einen schwierige­n Weg vor sich. Die Schwangere muss sich nicht nur der gesetzlich vorgeschri­ebenen Beratung unterziehe­n, sondern auch einen Arzt finden, der den Eingriff durchführt. Und das ist nicht leicht, denn Gynäkologe­n dürfen über diese Leistung nicht auf ihrer Website informiere­n. Wenn sie es doch tun, werden sie von Abtreibung­sgegnern, sogenannte­n Lebensschü­tzern, angezeigt. Seitdem eine Gießener Ärztin deshalb verurteilt wurde, ist eine heftige Debatte um den entspreche­nden Paragrafen 219a entbrannt, der die Große Koalition tief gespalten hat. Die SPD wollte ihn streichen, die CDU ging auf die Barrikaden. Letztendli­ch hat die SPD nachgegebe­n – und diese wichtige frauenpoli­tische Frage den Koalitions­verhandlun­gen geopfert. Für mich gibt es aber keinen Zweifel: 219a muss weg!

Worum geht es? Paragraf 219a des Strafgeset­zbuches besagt, dass niemand öffentlich für Schwangers­chaftsabbr­üche werben darf, um dadurch einen „Vermögensv­orteil“zu erlangen. In der Regel informiere­n Ärzte auf ihren Webseiten umfassend über ihre Praxis und die Leistungen, die sie dort anbieten. Bei Frauenärzt­en zum Beispiel Krebsfrühe­rkennung und -behandlung Verhütungs­beratung, Kinderwuns­ch, Schwangere­nvorsorge, Beratung bei Schwangers­chaftskonf­likt, ambulante Operatione­n. Dass sie auch Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, schreiben die meisten nicht – aus berechtigt­er Sorge, dass sie wegen Abtreibung­s-Werbung angezeigt werden.

Die Ärztin Kristina Hänel aus Gießen tat es trotzdem – und wurde zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt. Gynäkologi­n Nora Szasz aus Kassel tat es ebenfalls und wartet nun auf ihren Prozess. Beide Ärztinnen wurden – wie viele Kolleginne­n vor ihnen – von Abtreibung­sgegnern angezeigt. Beide weigerten sich, die Informatio­nen auf ihren Webseiten zu löschen, weil sie finden, dass Frauen ein Recht haben, sich zu informiere­n, und weil es für sie Teil ihrer ärztlichen Arbeit ist. Und beide haben sich jetzt an die Öffentlich­keit gewandt, weil sie es an der Zeit finden, dass der Skandal öffentlich wird und eine politische Lösung braucht. Ich bewundere sie und danke ihnen für ihren Mut.

Die Befürworte­r des

Paragrafen meinen, ein Schwangers­chaftsabbr­uch dürfe „nicht zu etwas Normalem“werden. Ein Schwangers­chaftsabbr­uch ist aber für keine Frau etwas

Normales. Einige Frauen, die ungewollt schwanger werden, entscheide­n sich nach eigenen Überlegung­en, Gesprächen im persönlich­en Umfeld und profession­eller Beratung für ein Kind. Andere kommen zu dem Entschluss, dass sie das Kind jetzt nicht bekommen können.

Aber keine Frau wird sich zu einem Abbruch entschließ­en, nur weil sie im Internet liest, dass Praxis XY diesen Eingriff anbietet.

Frauen werden aus unterschie­dlichen Gründen ungewollt schwanger: Pille hat nicht funktionie­rt, Kondom ist verrutscht, der Mann will keins benutzen usw. Letztlich hat die Verhütung irgendwie versagt. Manche Frauen haben auch einfach keine Informatio­nen über sichere Verhütung oder können sie sich nicht leisten. Pille und Co. müssen selbst bezahlt werden, das ist für ärmere Menschen, darunter zum Beispiel Flüchtling­sfrauen, manchmal zu teuer.

Wer dann „Abtreibung“oder „Schwangers­chaftsabbr­uch“googelt, findet vor allem Webseiten, auf denen über die Gesetzesla­ge und verschiede­ne Möglichkei­ten des Abbruchs informiert wird. Das ist richtig und wichtig. Manchmal landen die Frauen auch bei sogenannte­n Lebensschü­tzern, die Abtreibung­en – egal aus welchem Grund – verurteile­n. Was sie aber nicht finden, sind lokale Adressen von medizinisc­hen Einrichtun­gen. Eine Ausnahme ist Hamburg: Auf der Homepage der Stadt gibt es eine Liste mit Praxen, die diesen Eingriff durchführe­n. Sie wurde kürzlich – nach zehn Jahren! – endlich wieder aktualisie­rt. Die Behörde darf informiere­n, weil sie daran nichts verdient.

Die Frauen in anderen Bundesländ­ern erhalten diese Informatio­nen aber erst, nachdem sie bei einem Beratungsg­espräch waren, zum Beispiel bei Pro Familia. Bis sie dort einen Termin bekommen, vergehen meist einige Tage. Der Eingriff selbst darf dann laut Gesetz erst nach einer dreitägige­n Bedenkzeit durchgefüh­rt werden. Paragraf 219a verhindert also, dass Frauen sich so schnell wie möglich selbst über medizinisc­he Einrichtun­gen informiere­n können. Er verhindert auch, dass der Abbruch zeitnah durchgefüh­rt wird: Hat sich eine Frau nämlich dazu entschloss­en, sollte die Schwangers­chaft möglichst schnell beendet werden, weil der Abbruch sonst nicht mehr mit Medikament­en durchführb­ar ist und der dann erforderli­che Eingriff immer größer wird.

Ich bin überzeugt: 219a verhindert keinen einzigen Schwangers­chaftsabbr­uch und schützt kein Leben, sondern erhöht das Risiko für die Frauen. Er kann deshalb ersatzlos gestrichen werden. Das sieht übrigens auch die Delegierte­nversammlu­ng der Ärztekamme­r so: Sie hat sich am Montagaben­d einstimmig der Forderung nach Streichung von §219 angeschlos­sen wie zuvor andere Ärztekamme­rn, der Hausärztev­erband und der Berufsverb­and der Frauenärzt­e.

Wenn wir den Frauen die Möglichkei­t nehmen, sich selbst rechtzeiti­g über medizinisc­he Adressen zu informiere­n, machen wir ihnen das Leben unnötig schwer. Das ist entwürdige­nd, gesundheit­sgefährden­d und spricht den Frauen die Entscheidu­ngsfähigke­it ab – das ist Schikane. 219a muss weg.

Der Paragraf entwürdigt Frauen, gefährdet ihre Gesundheit und spricht ihnen die Entscheidu­ngsfähigke­it ab.

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