Hört auf, diese Frauen zu schikanieren!
Ärzte dürfen nicht für Abtreibungen werben, steht im Grundgesetz. Aber wo hört Information auf, wo fängt Werbung an? CDU und SPD haben sich über das Thema heftig zerstritten. Hier bezieht eine Hamburger Gynäkologin Position
Wer in Deutschland ungewollt schwanger wird, hat einen schwierigen Weg vor sich. Die Schwangere muss sich nicht nur der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung unterziehen, sondern auch einen Arzt finden, der den Eingriff durchführt. Und das ist nicht leicht, denn Gynäkologen dürfen über diese Leistung nicht auf ihrer Website informieren. Wenn sie es doch tun, werden sie von Abtreibungsgegnern, sogenannten Lebensschützern, angezeigt. Seitdem eine Gießener Ärztin deshalb verurteilt wurde, ist eine heftige Debatte um den entsprechenden Paragrafen 219a entbrannt, der die Große Koalition tief gespalten hat. Die SPD wollte ihn streichen, die CDU ging auf die Barrikaden. Letztendlich hat die SPD nachgegeben – und diese wichtige frauenpolitische Frage den Koalitionsverhandlungen geopfert. Für mich gibt es aber keinen Zweifel: 219a muss weg!
Worum geht es? Paragraf 219a des Strafgesetzbuches besagt, dass niemand öffentlich für Schwangerschaftsabbrüche werben darf, um dadurch einen „Vermögensvorteil“zu erlangen. In der Regel informieren Ärzte auf ihren Webseiten umfassend über ihre Praxis und die Leistungen, die sie dort anbieten. Bei Frauenärzten zum Beispiel Krebsfrüherkennung und -behandlung Verhütungsberatung, Kinderwunsch, Schwangerenvorsorge, Beratung bei Schwangerschaftskonflikt, ambulante Operationen. Dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführen, schreiben die meisten nicht – aus berechtigter Sorge, dass sie wegen Abtreibungs-Werbung angezeigt werden.
Die Ärztin Kristina Hänel aus Gießen tat es trotzdem – und wurde zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt. Gynäkologin Nora Szasz aus Kassel tat es ebenfalls und wartet nun auf ihren Prozess. Beide Ärztinnen wurden – wie viele Kolleginnen vor ihnen – von Abtreibungsgegnern angezeigt. Beide weigerten sich, die Informationen auf ihren Webseiten zu löschen, weil sie finden, dass Frauen ein Recht haben, sich zu informieren, und weil es für sie Teil ihrer ärztlichen Arbeit ist. Und beide haben sich jetzt an die Öffentlichkeit gewandt, weil sie es an der Zeit finden, dass der Skandal öffentlich wird und eine politische Lösung braucht. Ich bewundere sie und danke ihnen für ihren Mut.
Die Befürworter des
Paragrafen meinen, ein Schwangerschaftsabbruch dürfe „nicht zu etwas Normalem“werden. Ein Schwangerschaftsabbruch ist aber für keine Frau etwas
Normales. Einige Frauen, die ungewollt schwanger werden, entscheiden sich nach eigenen Überlegungen, Gesprächen im persönlichen Umfeld und professioneller Beratung für ein Kind. Andere kommen zu dem Entschluss, dass sie das Kind jetzt nicht bekommen können.
Aber keine Frau wird sich zu einem Abbruch entschließen, nur weil sie im Internet liest, dass Praxis XY diesen Eingriff anbietet.
Frauen werden aus unterschiedlichen Gründen ungewollt schwanger: Pille hat nicht funktioniert, Kondom ist verrutscht, der Mann will keins benutzen usw. Letztlich hat die Verhütung irgendwie versagt. Manche Frauen haben auch einfach keine Informationen über sichere Verhütung oder können sie sich nicht leisten. Pille und Co. müssen selbst bezahlt werden, das ist für ärmere Menschen, darunter zum Beispiel Flüchtlingsfrauen, manchmal zu teuer.
Wer dann „Abtreibung“oder „Schwangerschaftsabbruch“googelt, findet vor allem Webseiten, auf denen über die Gesetzeslage und verschiedene Möglichkeiten des Abbruchs informiert wird. Das ist richtig und wichtig. Manchmal landen die Frauen auch bei sogenannten Lebensschützern, die Abtreibungen – egal aus welchem Grund – verurteilen. Was sie aber nicht finden, sind lokale Adressen von medizinischen Einrichtungen. Eine Ausnahme ist Hamburg: Auf der Homepage der Stadt gibt es eine Liste mit Praxen, die diesen Eingriff durchführen. Sie wurde kürzlich – nach zehn Jahren! – endlich wieder aktualisiert. Die Behörde darf informieren, weil sie daran nichts verdient.
Die Frauen in anderen Bundesländern erhalten diese Informationen aber erst, nachdem sie bei einem Beratungsgespräch waren, zum Beispiel bei Pro Familia. Bis sie dort einen Termin bekommen, vergehen meist einige Tage. Der Eingriff selbst darf dann laut Gesetz erst nach einer dreitägigen Bedenkzeit durchgeführt werden. Paragraf 219a verhindert also, dass Frauen sich so schnell wie möglich selbst über medizinische Einrichtungen informieren können. Er verhindert auch, dass der Abbruch zeitnah durchgeführt wird: Hat sich eine Frau nämlich dazu entschlossen, sollte die Schwangerschaft möglichst schnell beendet werden, weil der Abbruch sonst nicht mehr mit Medikamenten durchführbar ist und der dann erforderliche Eingriff immer größer wird.
Ich bin überzeugt: 219a verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch und schützt kein Leben, sondern erhöht das Risiko für die Frauen. Er kann deshalb ersatzlos gestrichen werden. Das sieht übrigens auch die Delegiertenversammlung der Ärztekammer so: Sie hat sich am Montagabend einstimmig der Forderung nach Streichung von §219 angeschlossen wie zuvor andere Ärztekammern, der Hausärzteverband und der Berufsverband der Frauenärzte.
Wenn wir den Frauen die Möglichkeit nehmen, sich selbst rechtzeitig über medizinische Adressen zu informieren, machen wir ihnen das Leben unnötig schwer. Das ist entwürdigend, gesundheitsgefährdend und spricht den Frauen die Entscheidungsfähigkeit ab – das ist Schikane. 219a muss weg.
Der Paragraf entwürdigt Frauen, gefährdet ihre Gesundheit und spricht ihnen die Entscheidungsfähigkeit ab.