Ein Wiedersehen nach 76 Jahren
Die Nazis trennten Alice und Simon. Jetzt fanden sie sich wieder
LOS ANGELES - Als Alice Gerstel Weit sich 1941 von ihren engsten Freunden verabschieden musste, hätte sie niemals gedacht, dass sie ihren „Little Simon“Gronowksi jemals wiedersehen würde. Doch das tat sie – mehr als 76 Jahre später, in einer völlig anderen Welt. Fernab von Brüssel, wo sie sich damals voneinander verabschieden mussten.
Gerstel und ihre jüdische Familie versteckten sich 1941 für zwei Wochen im Haus der Gronowskis, bevor sie erfuhren, dass ihr Vater einen Schmuggler gefunden hatte, der sie, ihre Geschwister und ihre Mutter aus dem von Nazis besetzten Belgien bringen würde.
Die ebenfalls jüdischen Gronowskis entschieden sich dagegen, fortzugehen. Sie schafften es, ganze 18 Monate unterzutauchen, bevor die Nazis ihr Versteck entdeckten. Anschließend kamen Simon, seine Schwester und seine Mutter auf den Todeszug nach Auschwitz. „Ich dachte, die ganze Familie sei ermordet worden. Ich hatte keine Ahnung“, sagte Alice Gerstel am Mittwoch, dem Tag nach ihrem tränenreichen Wiedersehen.
Was sie erst da erfuhr: Auf der Todesfahrt nach Auschwitz schubste Simons Mutter ihn in Richtung Güterwagentür und sagte ihm, er solle springen. Und das tat er. Es war seine Rettung. Simons Schwester und seine Mutter überlebten den Holocaust nicht.
Nach dem Krieg kehrte Simon zurück in die Wohnung, in der er aufgewachsen war. Er sparte Geld, um Jura zu studieren. Heute lebt er in Brüssel, arbeitet immer noch als Anwalt.
Alice Gerstel Weit heiratete nach ihrer Flucht in den USA, bekam zwei Söhne und startete eine Karriere in der Immobilienbranche in Los Angeles. Nach dem Krieg machte sich ihre Familie auf die Suche nach den befreundeten Gronowskis. Dabei erfuhr sie, dass Simons Schwester und Mutter in Auschwitz ermordet wurden. Von ihrem „kleinen Simon“hört sie jedoch nichts. Bis ihr Neffe eines Tages im Internet nach Spuren ihrer Familie suchte und dabei zufällig über eine Doku stolperte, in der Simon über seinen Sprung aus dem Zug erzählte.
Bei dem Wiedersehen gab es viele Umarmungen, Küsse und Tränen, während die beiden Händchen haltend zusammen saßen und sich Fotos von früher anschauten. „Ich habe meinen kleinen Simon überhaupt nicht erkannt“, sagt Alice Gerstel, während der weiß-bärtige Mann kichernd neben ihr sitzt. „Aber da ist er. Der kleine Simon ist hier“, fügt sie hinzu und legt ihre Hand über Gronowskis Herz.