Hilfe, keiner will mehr Politiker werden
Jede dritte Gemeinde in Thüringen hatte nur einen Bürgermeister-Kandidaten – oder keinen
ERFURT/BERLIN - Demokratie lebt nicht nur, aber auch davon, die Wahl zu haben. Aber was, wenn niemand mehr bereit ist, sich überhaupt zur Wahl zu stellen? Dieses Phänomen war jetzt bei der Kommunalwahl in Thüringen besonders häufig zu beobachten. In 37 größeren und kleineren Gemeinden gab es für das Amt des Bürgermeisters nur einen Kandidaten. In vier Gemeinden fand sich kein einziger! Woran liegt das?
Das Städtchen Eisfeld im Süden Thüringens. In der 6000-Einwohner-Gemeinde hat der amtierende Bürgermeister ein Traumergebnis geholt, von dem andere Amtskollegen nur träumen können: Sven Gregor von den Freien Wähler erhielt 91 Prozent der Stimmen. Kleiner Schönheitsfehler: Es gab keine Gegenkandidaten. Es fand sich schlicht niemand, der bereit war anzutreten.
Wahlkampf hat der 41-Jährige trotzdem gemacht. Denn ohne Wahlkampf entstünden auch keine neuen Ideen, ist Gregor überzeugt. „Ich habe unseren Bürgern in vielen Wahlkampfveranstaltungen meine Vorstellungen für die Entwicklung unserer Stadt vorgetragen“, erklärt der gelernte Kfz-Mechatroniker. Doch trotz der Anstrengung: Am Ende lag die Wahlbeteiligung in Eisfeld unter 50 Prozent.
„Das politische Interesse in Thüringen ist grundsätzlich hoch“, erklärt der Soziologe Dr. Axel Salheiser von der FriedrichSchiller-Universität Jena der MOPO. „Und die Menschen sind mit der Demokratie an sich auch durchaus zufrieden, zeigen unsere Untersuchungen.“So lägen die Zustimmungswerte im „Thüringen-Monitor“, einer jährlichen Untersuchung der Uni, regelmäßig über 65 Prozent. Tendenz steigend. Salheiser: „Das Vertrauen in die Parteien ist aber nicht besonders hoch.“Das liege vor allem daran, dass viele Menschen glaubten, dass Politiker nicht nach dem Willen der Bevölkerung handelten. Jeder Fünfte in Thüringen ist laut der Befragung grundsätzlich bereit, sich politisch zu engagieren. Allerdings hat es nur jeder Zehnte bisher getan oder tut es aktuell. Salheiser: „Jeder Zweite gibt an, es fehle die Zeit. Ein Hauptproblem ist aber: Viele, die für den anstrengenden Job eines ehrenoder hauptamtlichen Bürgermeisters oder eines Landrats im richtigen Alter wären, arbeiten heute in den alten Bundesländern. Dadurch fehlt auch ein gewisses Potenzial.“Nach der Erfahrung des Wissenschaftlers sind diese Probleme in anderen neuen Bundesländern fast noch größer als in Thüringen. Und im Westen? Dort gibt es zwar auch Probleme. Dass sich niemand zur Wahl stellt, passiert aber nur selten. In Lübeck (Schleswig-Holstein), wo am 6. Mai gewählt wird, bewerben sich sogar zwölf Parteien um den Einzug in die Bürgerschaft. Neuer Rekord!