Misstrauen wächst: Es knirscht in der GroKo
SPD und Union haben sich böse ineinander verkeilt
BERLIN - Nur 66 Prozent – die neue SPD-Chefin Andrea Nahles steht gleich zu Beginn unter Druck. Sie wird „liefern“müssen. Das verspricht konfliktreiche Wochen für die neue GroKo. Denn SPD und Union haben sich bei mehreren vereinbarten Projekten böse ineinander verkeilt und versuchen, sich wechselseitig auszutricksen.
➤ Beispiel Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit: Das stand schon im Vertrag der letzten GroKo, wurde aber von der Union blockiert. Ein Wortbruch. Die CDU wollte das nur für Betriebe ab 200 Mitarbeitern zulassen, die SPD ab 15 Mitarbeitern. Der neue GroKo-Vertrag sieht einen Kompromiss vor: Bei Betrieben mit 45 bis 200 Mitarbeitern soll dieser Anspruch nur einem von 15 Mitarbeitern gewährt werden. Trotzdem sagt CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wieder Nein zum Gesetzentwurf von Minister Hubertus Heil (SPD): „Wir müssen einiges verhandeln. So einfach geht es nicht.“
➤ Beispiel Mütterrente: Im GroKo-Vertrag hat die Union ihr Wahlgeschenk an ältere Mütter durchgesetzt: Frauen, die vor 1992 drei Kinder und mehr geboren haben, sollen einen ganzen Rentenpunkt mehr bekommen. Kosten: rund 3,5 Milliarden Euro aus der Rentenkasse. Die SPD stimmte zähneknirschend zu. Zur Verwunderung der Union lässt Heil nun auch ein anderes Modell prüfen. Es gäbe nur einen halben Rentenpunkt, aber dafür für alle 9,5 Millionen Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben (also nicht erst ab dem 3. Kind). Hintergrund: Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken, ob die Belohnung erst ab dem 3. Kind zulässig ist. Die
Kosten wären in etwa gleich hoch. Doch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schäumt: „Der volle Punkt fürs Rentenkonto ist vereinbart und muss kommen.“
➤ Beispiel Krankenkassenbeitrag: Jens Spahn (CDU) muss eine der Trophäen der SPD aus den GroKo–Verhandlungen umsetzen: die Rückkehr zur „Parität“bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenkasse ab 2019. Das bringt den Arbeitnehmern eine Entlastung um 6,9 Milliarden Euro und belastet die Arbeitgeber in gleicher Höhe, denn sie sollen künftig die Hälfte des Zusatzbeitrages zahlen. Spahn hat sich nun einen Trick ausgedacht, um die SPD zu ärgern. Er will gleichzeitig die Krankenkassen zwingen, einen Teil ihren hohen Rücklagen (20 Milliarden) abzubauen. Dies könne die Beiträge um 0,3 Prozentpunkte senken – die Hälfte davon ginge an die Arbeitgeber! Die SPD ist sauer und droht mit einem Veto. Fraktions-Vize Karl Lauterbach: „Wenn wir jetzt die Rücklagen der Kassen abschmelzen, haben wir auf Dauer nicht genug Mittel, um gegen den Pflegenotstand anzugehen.“
➤ Beispiel Familiennachzug für Flüchtlinge: Die Koalition hat vereinbart, dass Flüchtlinge mit beschränktem Schutz, darunter viele Syrer, künftig monatlich bis zu 1000 Angehörige nachholen können. Der Gesetzentwurf von CSU-Innenminister Horst Seehofer sieht nun aber harte Auflagen vor und führt Auswahlkriterien ein, die nicht im GroKo-Vertrag stehen: So soll etwa der Nachzug versagt werden können, wenn die Angehörigen Hartz IV beziehen. „Damit darf er nicht durchkommen“, sagt NRW-SPD-Vize Marc Herter.