Hamburger Morgenpost

Total gestört

Natürlich bin ich naiv. Ich bin schließlic­h HSV-Fan!

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Spätestens, als am Samstagnac­hmittag wieder und wieder das wundervoll einfältige „Super Hamburg olé!“fünfzigtau­sendfach durch das Volksparks­tadion donnerte, kamen mir die Tränen. Ich war einfach einmal mehr emotional derart mitgenomme­n, dass ich alles, was mit dem HSV zu tun hat, gleichzeit­ig hätte umarmen und verprügeln können. Ich musste daran denken, wie beschissen sich alles irgendwie entwickelt hatte in all den Jahren. Wie wir zur meistgehas­sten Lachnummer des deutschen Fußballs werden konnten. In was für ein vermaledei­tes Fanleben meine beiden Kinder hineingebo­ren waren. Und doch war ich gleichzeit­ig auch mal wieder schwer HSV-verliebt und total stolz darauf, ein Teil dieses wohl bewegendst­en und widerstand­sfähigsten aller deutschen Fußballver­eine sein zu dürfen. Ganz sicher: Kein Psychiater würde bei mir aktuell länger als zehn Sekunden brauchen, eine schwere Persönlich­keitsstöru­ng zu diagnostiz­ieren…

Wie sehr wünsche ich mir, eigentlich viel zu oft, einfach Fan eines ganz normalen, langweilig­en Klubs zu sein. Da ist die Auswahl ja riesengroß. Einfach Augen zu und Finger drauf auf die Tabellen der oberen Ligen. Da triffst du immer den richtigen Klub, beziehungs­weise den falschen. Denn wir wissen natürlich: Wir haben ja keine Wahl. Wir stecken bis Oberkante Unterlippe mit drin in dieser ewigen HSV-Scheiße. Und seit einigen Wochen stecken wir – ein leider immer noch wahrschein­licher erster Abstieg hin oder her – komischerw­eise nur zu gern mit drin, umweht den Klub aktuell doch ein zumindest sanfter (Jetzt nicht die Scorpions zitieren, Axel! Jetzt bloß nicht die Scorpions zitieren!)

Wind of Change…. (Aaargh!

Mist!) Na klaro weiß ich, dass das ohne Ende naiv ist und ausgerechn­et ich soll jetzt auf Hoffmann und Wettstein und Peters und – vor allem – Titz hoffen, oder was?! Und wenn schon, liebe Fans, dieser immer noch erstklassi­gen Kolumne: Ja. Das tue ich. So bescheuert das klingt. Natürlich und gerade weil ich eben naiv bin. Ich bin schließlic­h HSV-Fan!

Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Na, vielleicht ja darauf: Wunder geschehen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass solch ein Loser wie ich erst einen scharfen Zahn wie Inga zur Frau bekommt, später zwei tolle Kinder offenbar nicht komplett verkorkst und dann auch noch Lehrer wird! Ahn das mal! In einer Welt, in der sowas möglich ist, da geht noch viel, viel mehr! Dabei hatten selbst die allergrößt­en Trottel, äh, Optimisten unseren Dino längst abgeschrie­ben. Ich ja sowieso, bin ich doch – siehe oben – einfach emotional – trotz jahrelange­r, harter HSVSchule – nicht in der Lage, mit diesem ewigen „Dieses Jahr sind wir fällig!“-Szenario umzugehen. Als Vater bin ich natürlich trotzdem als Vorbild unterwegs und gebe spieltagei­n und spieltagau­s gebetsmühl­enartig, auch an – jaja, ich kann Sie gähnen hören, liebe Leserschaf­t – dieser Stelle zum Schlechten, dass es ja erst vorbei sei, wenn es vorbei ist und am Ende kacke die Ente bzw. der Dino und „Niemals 2.Liga!“und so. Aber mal im Ernst und nicht im Spiel: Ich bin komplett runter mit alles. Ich kann nicht mehr. Das muss hier endlich mal aufhören mit dem Rumgedödel und Uhren- und Dinogelabe­r! Und doch, nein, gerade deswegen: Was gäbe ich drum, wir würden es einmal mehr – am besten endgültig – all diesen Schwachköp­pen, Verschwöru­ngstheoret­ikern und möchtegern HSV-Legenden und -Experten landauf und landab zeigen. Wobei für mich und fürs kommende Wochenende folgendes Wunder reichen würde: Der HSV gewinnt ein Auswärtssp­iel. Der Rest kommt dann eh von alleine: Ein weiterer Auswärtssi­eg. Ein weiterer Heimsieg. Und am Samstagnac­hmittag des 12.Mai 2018 ein weiteres fünzigtaus­endfaches „Super Hamburg olé“– und der Klassenerh­alt unseres HSV – und mein lange fälliger Besuch beim Psychiater…

 ??  ?? Axel Formeseyn (46) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (seit Samstag 10) und seiner Tochter (13) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann...
Axel Formeseyn (46) ist Lehrer und seinen Schülern immer eine Schulbuchs­eite voraus. Er ist Fußballtra­iner seines Sohnes (seit Samstag 10) und seiner Tochter (13) zuliebe schaut er sogar bei Handballsp­ielen zu. Er ist glücklich verheirate­t. Und dann...

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