Wie läuft das bei Ihnen mit Befehl und Gehorsam, Herr Admiral?
Carsten Stawitzki, Chef der Bundeswehr-Führungsakademie, über die Ausbildung von Offizieren aus Diktaturen und Teamwork
Sie ist die „Generalsschmiede“der Bundeswehr und gilt weltweit als vorbildlich – die Führungsakademie an der Manteuffelstraße in Nienstedten. 120 Dozenten bilden hier Stabsoff ziere aus. Ein Jahr lang war Konteradmiral Carsten Stawitzki (52) der Chef. Am 9. Mai geht er als Abteilungsleiter „Ausrüstung“ins Verteidigungsministerium in Berlin und wird vermutlich zum Vizeadmiral befördert. Die MOPO sprach mit dem Flaggoff zier über modernes Führungsmanagement, Schwule und Lesben beim Bund und die Ausbildung von Off zieren aus Diktaturen an der Akademie. MOPO: Ist General eigentlich ein Ausbildungsberuf?
Carsten Stawitzki: Um eine Top-Führungskraft in der Bundeswehr zu werden, muss man auch ausgebildet werden. General ist aber kein Dienstgrad, den man erreichen kann, weil man sich das vornimmt.
Wie kommt man denn als Of izier grundsätzlich an die Generalsschmiede?
Es gibt 13 000 Berufsoffiziere – von rund 180 000 Soldaten insgesamt. Die haben alle an der Führungsakademie den Stabsoffizierslehrgang absolviert. Jedes Jahr werden hier 450 bis 500 Offiziere ausgebildet. In Köln gibt es schließlich eine Auswahlkonferenz. Die wählt davon etwa 80 bis 100 Offiziere für den Generalstabslehrgang aus.
Und wer diesen Elite-Lehrgang besteht, kann General oder Admiral werden?
Richtig. Die Auswahl trifft die Bundesministerin der Verteidigung. Sie kann den betreffenden Soldaten dann auch jederzeit ohne Angaben von Gründen in den Ruhestand schicken.
Was lernen die angehenden Generalstäbler denn bei Ihnen? Krisenmanagement?
Vor allem geht es darum, die Führungskompetenz jedes Einzelnen zu erweitern, zu vertiefen und zu verbessern. Also Befehl und Gehorsam allein sind nicht genug bei der Bundeswehr?
Nein, die Bundeswehr von heute funktioniert nicht mehr grundsätzlich nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam.
Sondern?
Sie funktioniert dadurch, dass man sich seines Teams vergewissert. Es geht darum, sich wahre Gefolgschaft seiner Untergebenen zu sichern. Das klingt jetzt vielleicht etwas dick aufgetragen. Im Kern geht darum, ihr Vertrauen zu bekommen und zu behalten. Das ethische Fundament, auf dem man als Führungskraft steht, wird geschärft. Man akzep-
tiert, Widerspruch zu bekommen und zu ertragen. Ziel ist es, robuste Führungssituationen zu erzeugen.
Das bedeutet, dass man sich aufeinander verlassen kann. Jeder weiß: Auch der, der befiehlt, kann Fehler machen. Wenn aber allen der übergeordnete Auftrag klar ist, kann jeder im Sinne des Ziels entscheiden, was er als nächsten Schritt macht, und muss nicht erst den Kommandierenden fragen.
Und bekommt dann keinen Anschiss?
Ganz im Gegenteil. Wenn er im Sinne des Zieles gehandelt hat, ist es ja gerade das, was wir erreichen wollen. Ausschließliche Befehlstaktik ist bei uns völlig abwegig.
Viele denken bestimmt, dass die Bundeswehr noch so funktioniert, oder?
Richtig. Dem begegne ich immer wieder, gerade auch im Dialog mit Führungskräften aus dem Zivilleben. Tatsächlich haben wir aber extrem viele Gemeinsamkeiten bei der Führungsphilosophie.
Ich glaube fast, bei der Bundeswehr geht es liberaler zu als in manchem Großunternehmen!
Interessant, ja. Ich habe Firmen kennengelernt, die mit sehr konservativen, vielleicht sogar rückwärtsgewandten Methoden führen. Sind Schwule und Lesben bei Ihnen gut integriert?
Die Bundeswehr stellt sich heute mit ihren jungen Menschen viel offener dar, als das meine Generation vor 30 Jahren getan hat. Vergangenes Jahr haben wir uns hier an der Akademie mit einem Fotoprojekt „Uniformierte Vielfalt“am Diversity-Tag beteiligt – vor 30 Jahren unvorstellbar.
Sie bilden ja auch Of iziere aus der ganzen Welt aus – darunter auch aus Diktaturen. Haben Sie damit ein Problem?
Im Gegenteil. Wir exportieren hier unser westliches Demokratieverständnis und unsere Verfassung. Wir zeigen, was es bedeutet „Staatsbürger in Uniform“zu sein, und zeigen ausländischen Kameraden einen Weg auf, den sie auch gehen könnten.
Warum sind Sie eigentlich Soldat geworden?
Ich hatte Fernweh und war so mit 19 schlagartig von meinen Eltern unabhängig. Und ich wollte mein Land und unsere Freiheit verteidigen – ich habe meine Entscheidung als junger Mensch in der Hochzeit des Kalten Krieges getroffen.
Und Sie haben eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Sind da manche neidisch geworden?
Ich spüre davon nichts ...
DAS INTERVIEW FÜHRTE THOMAS HIRSCHBIEGEL