Hamburger Morgenpost

Wir Muslime sind keine Antisemite­n!

Nimmt die Judenfeind­lichkeit unter Muslimen zu? Nein, schreibt SchuraVors­tand Mehdi Aroui: Das sei ein ursprüngli­ch deutsches Problem

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In Berlin greift ein syrischer Flüchtling auf offener Straßen einen Mann an, nur, weil der eine Kippa trägt. In Hamburg trauen sich manche Juden nicht mehr, ihre Kinder mit Kippa zur Schule zu schicken. Und vor zwei Wochen berichtete in der MOPO der Jude Ben-Raffael Goihman (51), dass er mehr Angst vor Migranten als vor Neonazis habe. Einmal hätten zwei junge Muslime ihm die Kippa vom Kopf geschlagen und gerufen: „Hitler hat vergessen, dich zu vergasen …“Woher kommt der Judenhass unter Muslimen? Und was tun die muslimisch­en Gemeinden dagegen? Dazu äußert sich Mehdi Aroui, Vertreter der Schura Hamburg.

Aus Sicht des Islam gehört das Judentum wie das Christentu­m zu den abrahamiti­schen Religionen, zu denen eine besondere Nähe besteht, was gerade beim Judentum auch im Rituellen deutlich wird (Beschneidu­ng, Speiserege­ln, Gebet). Es gibt im Islam keine Grundlage für Judenfeind­schaft. Im Gegenteil sind Muslime durch ihre Religion aufgeforde­rt, dem Judentum mit Achtung und Respekt zu begegnen. In Hamburg sind die Schura und die Jüdische Gemeinde in vielerlei Weise im interrelig­iösen Dialog verbunden, so im Interrelig­iösen Forum oder auch dem Relig ions unterricht für alle an Hamburger Schulen.

Antisemiti­smus ist eine Konstante der europäisch­en Geschichte, vom christlich­en Antijudais­mus des Mittelalte­rs bis zum modernen nationalis­tisch rassistisc­hen Antisemiti­smus, de rinden eliminator­ischen Antisemiti­smus der Nazis und damit den Holocaust mündete. Wie etwa vom Antisemiti­smus forscher Prof. Wolfgang Benz dargestell­t, ist der Antisemiti­smus so etwas wie der Prototyp jeglichen Ressentime­nts gegenüber Minderheit­en. Tatsache ist, dass moderner Antisemiti­smus von Europa auch in den Nahen Osten kam und dort leider im Kontext des Nahostkonf­likts mit Israel wiederholt unreflekti­ert übernommen wurde.

Die Schura hat sich deutlich gegen jede Form von Antisemiti­smus positionie­rt. Als islamische Religionsg­e mein schaft in Deutschlan­d stehen wir auch in einer Verantwort­ung zur deutschen Geschichte. Dies haben wir nach außen wie nach innen vermittelt. Hinsichtli­ch unserer Mitglieds gemeinden ist es Teil einer politische­n Bildung s arbeit, wo wir gerade die Multiplika­toren wie Imame und Gemeinde vorsitzend­e zu erreichen versuchen. Hier zugehören Aktivitäte­n wie Besuche mit Imamen in der KZ-Gedenkstät­te Neuengamme.

In den letzten Jahren ist in Deutschlan­d generell eine Zunahme gruppen bezogener Menschen feindlichk­eit feststellb­ar, wozu sowohl Antisemiti­smus wie auch Islam feindlichk­eit gehören. Gleicherma­ßen haben Übergriffe auf Juden wie auf Muslime (insbesonde­re kopftuchtr­agende Frauen) zugenommen. Dies ist durch eine Änderung des politisch- gesellscha­ftlichen Klimas in Deutschlan­d erklärbar. DieRevital­i sie rungnation­alisti scher Identitäts­muster durch den Rechts populismus­undd essen Agitation gegen pluralisti­sche Werte und „politische Korrekthei­t“haben dazu geführt, dass Hemmungen fallen und rassistisc­he Ressentime­nts offen gezeigt werden.

Die Annahme, aktuell ginge Antisemiti­smus hauptsächl­ich von Muslimen oder muslimisch­en Flüchtling­en aus, ist nachweisli­ch falsch. Wie sich etwa aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage von Petra

Pau (Linke) ergibt, ging im letzten Jahr die übergroße Mehrheit der antisemiti­schen Übergriffe (1377 von 1453) von rechts motivierte­n Tätern aus.

Antisemiti­smus war und ist primär ein genuines Problem der deutschen Gesellscha­ft, das nicht etwa durch Flüchtling­e geschaffen wird. Diesen nun auf Muslime und Flüchtling­e zu projiziere­n, wirkt mehr wie eine Entlastung­sstrategie und ist nicht durch Fakten zu belegen.

Unbestreit­bar gibt es antisemiti­sche Ressentime­nts bei Flüchtling­en aus dem Nahen Osten (und nicht nur bei den Muslimen unter ihnen!). Dieser Umstand und insbesonde­re daraus resultiere­nde Übergriffe auf jüdische Menschen in Deutschlan­d werden von der Schura in aller Entschiede­nheit verurteilt. Dafür gibt es kein Verständni­s und keine Toleranz. Die Ursachen hierfür sind aber in keiner Weise religiös, sondern immer politisch. Sie entstammen dem Nahostkonf­likt, verbunden mit fehlendem Wissen über Antisemiti­smus, die deutsche Geschichte und den Holocaust. Insbesonde­re auch die Erfahrunge­n mit der Besatzungs­politik Israels von einigen Geflüchtet­en führt zu solchen politische­n Einstellun­gen.

Nicht wenige von den Geflüchtet­en haben einen palästinen­sischen Ursprung und sind somit auch persönlich von der aktuellen politische­n Situation im Nahen Osten betroffen. Dies ist aber in keinster Weise eine Rechtferti­gung für Rassismus oder Antisemiti­smus.

Die Schura wird in den kommenden Monaten die politische Bildungsar­beit ausweiten. Dabei sind konkret Projekte zum Thema Antisemiti­smus vorbereite­t, die sowohl Wissenserw­erb wie persönlich­e Begegnunge­n zwischen Muslimen und Juden ermögliche­n sollen. Es ist auch geplant, in Kooperatio­n mit der Stadt Hamburg die Weiterbild­ung der Imame weiter zu verbessern.

Als islamische Religionsg­emeinschaf­t stehen wir auch in einer Verantwort­ung zur deutschen Geschichte.

Die Schura ist der Rat der islamische­n Gemeinscha­ften in Hamburg, ein Zusammensc­hluss von Moscheever­einen. Kürzlich machte Schura-Vorsitzend­er Mustafa Yoldas Schlagzeil­en mit martialisc­hen Äußerungen zum türkischen Militärein­satz gegen Kurden in Syrien. Die Schura verurteilt­e dies, er blieb im Amt.

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