Hamburger Morgenpost

Der „letzte Zeuge“

Der ehemalige KZ-Häftling Wim Alosery kam zurück in die Stadt, in der er einst gequält wurde. Mittwoch ging er zu Bett – und wachte nicht mehr auf

- OLAF WUNDER o.wunder@mopo.de

Wim Alosery hat als Häftling des KZ Neuengamme Furchtbare­s durchgemac­ht. Zum 73. Jahrestag der Befreiung der Konzentrat­ionslager reiste der 94-jährige Niederländ­er noch einmal in die Stadt, in der er einst gequält wurde – hier ist er jetzt überrasche­nd gestorben.

Der Niederländ­er war in seiner Heimat sehr bekannt. Im April hatte er sein Buch „De laatste Getuige“(„Der letzte Zeuge“) vorgestell­t, in dem er von seiner Zeit als KZHäftling berichtet. Niederländ­ische Zeitungen und das niederländ­ische Fernsehen schenkten dem Buch sehr viel Aufmerksam­keit. Am kommenden Freitag wollte König Willem-Alexander Alosery empfangen.

Die KZ-Gedenkstät­te Neuengamme hat auf ihrer Webseite einen Nachruf veröffentl­icht, in der der Lebensweg Aloserys nachgezeic­hnet wird und in dem es heißt: „Trotz seines hohen Alters von fast 95 Jahren war Wim Alosery noch erstaunlic­h vital, präsent und humorvoll.“Die Trauer über seinen Tod ist tief: „Wir haben einen Freund verloren. Unsere Gedanken sind bei Wim und seiner Familie.“

Alosery ist 1944 vom niederländ­ischen Durchgangs­lager Amersfoort nach Neuengamme gebracht worden. Er musste im Industrieh­of und später im Außenlager Husum-Schwesing für das vom Hamburger NS-Gauleiter Karl Kaufmann koordinier­te Projekt des sogenannte­n Friesenwal­les schwerste Zwangsarbe­it leisten.

Bei Kriegsende war Alosery Teil des sogenannte­n Restkomman­dos, dessen Auftrag es war, die Spuren der Verbrechen im KZ Neuengamme zu verwischen. Anschließe­nd gehörte er zu den Häftlingen, die von der SS auf den KZ-Schiffen „Thielbek“und „Cap Arcona“eingesperr­t wurden. In der Annahme, es handele sich um deutsche Truppentra­nsporter, griff die britische Luftwaffe die Schiffe am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht an und versenkte sie. Fast 7000 Häftlinge fanden den Tod.

Alosery – ein tief gläubiger Zeuge Jehovas – gehörte zu den wenigen, die die Katastroph­e überlebten. Vergangene Woche erst hatte sich die Royal Air Force bei ihm persönlich für das versehentl­iche Bombardeme­nt entschuldi­gt.

Am Montag war Alosery nach Hamburg gereist. Am Dienstag gab er den Wissenscha­ftlern der KZ-Gedenkstät­te Neuengamme ein Videointer­view über sein Leben. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag starb er in einem Hotel in Bergedorf. Er wachte einfach nicht mehr auf.

Die Gedenkvera­nstaltung zum 73. Jahrestag der Befreiung der Konzentrat­ionslager am Donnerstag­nachmittag – der Grund seiner Reise nach Hamburg – musste ohne ihn stattfinde­n – dafür nahmen aber etliche andere ehemalige Häftlinge aus ganz Europa und auch Angehörige wie der TV-Entertaine­r Ilja Richter an der Feierstund­e teil.

Bürgerscha­ftspräside­ntin Carola Veit (SPD) sagte: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Opfer von damals heute den Kindern aus dem Volk der Täter vermitteln, was deren Eltern und Großeltern nur zu oft verschwieg­en haben.“

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Ein Überlebend­er des KZ Neuengamme hält eine Flagge Israels in der Hand. Donnerstag war er Gast der Gedenkvera­nstaltung zum 73. Jahrestag des Kriegsende­s und der Befreiung des Konzentrat­ionslagers.
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Wim Alosery ging Mittwoch schlafen und wachte nicht mehr auf.
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