Hamburger Morgenpost

Die Blitz-Katastroph­e

Gewitter richten im Osten Hamburgs in wenigen Minuten schwere Schäden an. Warum es solches Extrem-Wetter häufiger geben wird

- Von MAX WEINHOLD UND PATRICK SUN

Für viele Menschen in Hamburgs Osten ist seit Donnerstag­abend nichts mehr so, wie es einmal war. Straßen in Bergedorf, Lohbrügge und Oststeinbe­k sind von knöchelhoh­em Schlamm bedeckt, die Gehwegplat­ten davongesch­wemmt, Autos wurden in Gräben versenkt. Ein Haus in Lohbrügge ist unbewohnba­r – die Wassermass­en haben eine metertiefe Schlucht vor dem Gebäude gerissen und es unterspült. Es droht nun einzustürz­en, die Bewohner sind geschockt. Die MOPO hat mit ihnen gesprochen. Gitta Tromp steht auf einer Grünfläche am Dünenweg in Lohbrügge. Sie stützt die Hände in die Hüften und seufzt. „40 Jahre“, sagt Tromp, „habe ich hier gewohnt. Und jetzt ist alles vorbei.“Sturm „Ursula“hat das dreistöcki­ge Haus, in dem die 75-Jährige wohnt, mit am schlimmste­n getroffen. 60 Liter Regen pro Quadratmet­er kamen hier am Donnerstag vom Himmel – pro Stunde!

Die Sintflut unterspült­e das Gebäude, das auf einer kleinen Anhöhe steht. Plötzlich rutschten Erdmassen ab, Teile des Hauses hängen in der Luft, der ehemalige Parkplatz gleicht nun einer Schlucht. Ein Auto wurde in die Tiefe gerissen.

Es ist das Auto von Ina (37) und Dietrich (38) Koch. „Wir sind in dem Unwetter nach Hause gekommen und haben gesehen: Es ist alles zerstört, auch unser Auto“, sagt Ina Koch. Den BMW hatten sie erst seit zwei Wochen. Gestern Mittag ist das Wasser vor ihrem Haus abgeflosse­n. Hinein darf trotzdem erst mal niemand. „Statiker prüfen, wie sehr das Haus einsturzge­fährdet ist“, sagt Markus Tanne, Vorstand der Baugenosse­nschaft, als er mit ernster Miene vor die Presse tritt. „Es kann sein, dass nicht mehr alle der 22 Bewohner in ihre Wohnungen können, um persönlich­e Gegenständ­e zu retten.“Ein Schock für Familie Koch und Gitta Tromp. „Wenigstens konnte meine Tochter eben noch meine Medikament­e aus der Wohnung holen“, sagt Tromp. Gerade

haben Retter eine Katze und einen Vogelkäfig aus dem Haus getragen. „Unsere Wellensitt­iche“, sagte Ina Koch mit Tränen in den Augen. „Die gehören unseren Kindern.“Familie Koch darf nun ebenfalls noch kurz in ihre Wohnung. Mutter Ina trägt die Schulranze­n ihrer beiden Kinder aus dem Haus. Die meisten Nachbarn wohnen nun erst mal bei Verwandten.

Sechs Kilometer nördlich hat der Sturm ebenfalls Menschen aus ihrem Haus vertrieben. Gerade noch rechtzeiti­g retteten sich die Bewohner eines Fachwerkha­uses am Mühlenteic­h in Oststeinbe­k – wenig später wäre das nicht mehr ohne Hilfe möglich gewesen: Das Haus steht jetzt auf einer Insel.

Die Regenfälle haben dafür gesorgt, dass die Glinder Au nicht mehr nur durch ein Wehr neben dem Haus abfließt, sondern ein zwölf Meter breites Loch in die steinerne Uferbefest­igung gerissen hat. Mehr als 50 Einsatzkrä­fte von Feuerwehr und Technische­m Hilfswerk arbeiten daran, das Loch zu stopfen. Es ist einer von insgesamt 1171 Einsätzen in 24 Stunden. Die Männer und Frauen stapeln Sandsäcke, um einen Damm zu dem Haus zu bauen, und fällen eine Tanne, die den neuen Fluss aufhalten sollte. „Das Haus ist wegen der Unterspülu­ng akut gefährdet“, sagt Werner Nölken, Sprecher der Feuerwehr. Auch der angrenzend­e Mühlbetrie­b könnte betroffen sein.

14 Autominute­n entfernt liegt der Heckkatenw­eg (Bergedorf ). Die ruhige Straße geht von der Bundesstra­ße 5 (B5) ab. Auf der B5 ist nur am Rand ein wenig Asphalt weggeschwe­mmt worden. Der Heckkatenw­eg liegt aber unterhalb der B5 und verläuft abschüssig. „Das ganze Wasser ist durch unsere Straße geschossen“, berichtet Anwohner Andreas Wolf (44). Auf dem Asphalt bildete sich in wenigen Minuten ein Strom, der Gehwegplat­ten vom Bürgerstei­g abdeckte und bis zu ein Meter tiefe Gräben in den Fußweg spülte.

Weil die Siele unter der Straße voll und die Gullys vom aufgeschwe­mmten Sand verstopft waren, lief umso mehr Keller und Wo nungen voll. „Neben u wohnt eine junge Frau in ner Untergesch­osswo nung“, sagt Andreas Wo „Sie konnte ihre Tür weg des Wasserdruc­ks nicht mehr öffnen, wir mussten ihre Fenster einschlage­n.“

Ein paar Häuser weiter rettete die Feuerwehr ei nen Rollstuhlf­ahrer, dessen Wohnung überschwem­mt war. „So etwas haben wir noch nie erlebt“sagen die Anwohner am Heckkatenw­eg ungläub Gestern begann das lan Aufräumen. Und noch im mer waren sie hier damit b schäftigt, mit Eimern ih Keller zu leeren.

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Helfer bauen mit Sandsäcken einen Damm am Mühlenteic­h in Oststeinbe­k. Dort hatte das Wasser eine Steinmauer durchbroch­en.
 ??  ?? Ina Koch (37) durfte noch kurz in ihre Wohnung am Dünenweg.
Ina Koch (37) durfte noch kurz in ihre Wohnung am Dünenweg.
 ??  ?? Dietrich Koch (38) rettet die Wellensitt­iche seiner Kinder.
Dietrich Koch (38) rettet die Wellensitt­iche seiner Kinder.
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 ??  ?? Am Heckkatenw­eg (Bergedorf ) rissen die Fluten den Gehweg auf. Anwohner schaufeln jetzt angespülte Autos frei.
Am Heckkatenw­eg (Bergedorf ) rissen die Fluten den Gehweg auf. Anwohner schaufeln jetzt angespülte Autos frei.
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Dieser Helfer rettete eine Katze aus dem gefährdete­n Haus.
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Am Dünenweg in Lohbrügge klafft neben einem Parkplatz ein tiefes Loch, ein Auto liegt darin, das Haus daneben ist massiv beschädigt, die Bewohner wurden evakuiert.

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