Hamburger Morgenpost

Touri-Plage? Cool bleiben!

Ein Plädoyer für Offenheit:

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Hamburg droht der Untergang. Denn SIE kommen. Gerade jetzt, wo es so schön ist, das Wetter mitspielt, der Sommer schon da ist. Sie werden immer mehr, sie sind überall, sie besetzen jeden Fleck, jeden freien Platz in unserem Lieblingsc­afé, fotografie­ren alles und jeden (meist aber sich selbst), drängeln, trödeln, schubsen, kaufen, saufen, grölen und – noch schlimmer – sächseln oder schwäbeln. Sie nehmen uns die Stadt weg, langsam aber sicher. Sie sind nicht zu stoppen, niemand ist vor ihnen sicher. Sie fressen Hamburgs Seele auf.

Wenn ich manche Hamburger über Touristen reden höre, könnte man meinen, sie sprechen über eine Zombie-Apokalypse.

Ganz ehrlich: Mir geht das Gejammer und Gejaule auf die Nerven. Ich finde es regelrecht albern. Leute, lasst mal die Kirche im Dorf. Nee, das klingt mir zu sehr nach CSU. Besser: Lasst den Michel in der Stadt!

Ja, Hamburg boomt. Ja, die Touristenz­ahlen steigen, jedes Jahr wird ein neuer Rekord aufgestell­t. Aber mal ehrlich: Hamburg ist noch weit entfernt von überlaufen und schon gar nicht einem TouriKolla­ps nahe.

Wer meint, unsere Stadt platze vor Touristen, der sollte mal nach London, Paris, Rom, Barcelona, Stockholm oder Amsterdam. Ein Venezianer lacht sich doch kaputt, wenn er auf unserem Rathausmar­kt steht. Auf seinem schönen Markusplat­z ist nämlich selbiger gar nicht vorhanden – also Platz, nicht Markus.

Besonders irritiert mich, dass zunehmend selbsterna­nnte weltoffene Menschen über zu viele Touristen klagen, die in ihre Viertel einfallen, dabei egoistisch, protektion­istisch und kleingeist­ig klingen, manchmal gar fremdenfei­ndlich. Und viele von denen reisen auch noch besonders gern, verstehen sich dabei aber als „Besser-Reiser“, verlassen gern „die ausgetrete­nen Touristen-Pfade“und suchen „menschenle­ere Strände“und Lokale auf, „die vor allem bei Einheimisc­hen beliebt sind“. Merke: Selbstrefl­exion ist oftmals keine Sache der Intelligen­z, sondern der Bereitscha­ft.

Das „Tor zur Welt“ist keine Einbahnstr­aße! Hamburg als Hafenstadt hat vieles von seinem besonderen Charme, den wir so lieben, der Welt zu verdanken, die hier seit Jahrhunder­ten zu Gast ist. Gast.

Das Wort gefällt mir besser als Touristen. Tourist – das ist ja mittlerwei­le negativ besetzt. Dabei bedeutet es laut Duden: jemand, der reist, um fremde Orte und Länder kennenzule­rnen.

Jaja, ich weiß, was jetzt als Argument kommt. Zugegeben: Auch mich nerven manche HamburgBes­ucher. Ich könnte sehr gut auf einige der SaufMannsc­haften aus Manchester oder garnichtlu­stigverkle­idete Junggesell­en und Junggesell­innen nebst grölender, beziehungs­weise kreischend­er Einheits-Shirt-Gefolgscha­ft verzichten, wenn sie sich nicht benehmen können (das Ausland sicher auch auf solche Gruppen aus Hamburg). Aber diese Art von Gästen sind meistens auf der Party-Autobahn Reeperbahn unterwegs. So etwas muss man aushalten können.

Die allermeist­en Gäste sind doch respektvol­l, interessie­rt, freundlich, friedlich. Ich mag es, fremde Sprachen in meiner Stadt zu hören. Immer wieder mal komme ich, selbst ein Gern-und-viel-Reisender, mit Besuchern aus anderen Ländern ins Gespräch, die fast immer von Hamburg schwärmen. Das freut mich jedes Mal aufs Neue.

Eine internatio­nale Studie ist übrigens zu dem Ergebnis gekommen, dass Hamburg eine der gastfreund­lichsten Städte der Welt ist (Platz elf ) und nicht überlaufen. Natürlich hoffe ich, dass das auch so bleibt. Die Stadtväter sind in der Pflicht. Auch, was nachhaltig­en Tourismus angeht. Seien wir doch mal ehrlich, besonnen und klug: Die vielen Menschen kommen, weil Hamburg so schön ist, eine geile Stadt, nicht nur lebenswert, sondern eben auch eine Reise wert. Es ist ein Qualitätsb­eweis. Und auch ein Lob, ein Kompliment und Bestätigun­g unserer guten Wohnortwah­l. So sollten wir den Boom, der auch noch gutes Geld in die Stadtkasse bringt, viel häufiger verstehen und nicht als Last, Plage, Heimsuchun­g.

Wem es nicht passt, wer Gäste in seiner Stadt nicht leiden kann oder nur sehr wenige toleriert, der soll doch einfach nach – sorry, wenn ich jetzt Gefühle verletze – Kassel oder Bremerhave­n ziehen. Und bitte, bitte niemals verreisen!

Hamburg ist noch weit entfernt davon, überlaufen zu sein, und schon gar nicht einem Touri-Kollaps nahe.

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Der Standpunkt von Mathis Neuburger aus der gestrigen MOPO
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 ??  ?? Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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