Europas Schicksalssommer
Entscheidende politische Weichenstellungen in den nächsten Monaten
BRÜSSEL - Das Jahr 2017 war für Europa gar nicht schlecht. Anders als befürchtet siegten in Frankreich nicht die EU-Feinde, sondern stattdessen der Hoffnungsträger Macron. Die EuroKrise schien überstanden, mit der Wirtschaft ging es fast überall aufwärts. Doch in diesem Jahr steht der Kontinent so vielen Herausforderungen gegenüber wie schon lange nicht mehr. Die EU steht vor ihrem Schicksalssommer. ➤ Beispiel Strafzölle: Seit Beginn dieses Monats ist endgültig klar: Die USA unter Donald Trump betrachten die Europäische Union nicht als Partner, sondern eher als Gegner und Konkurrenten. Mit dem begonnenen Handelskrieg und den Zöllen auf Stahl und Aluminium stellt Washington die EU nicht nur vor eine wirtschaftliche Herausforderung – sondern auch vor eine politische. Denn ohne eine einheitliche Antwort Europas wird Trump relativ leichtes Spiel haben. Und genau dort beginnen die Probleme: Osteuropa wird sich nur widerwillig oder gar nicht in einen dauerhaften Handelskrieg mit den USA hineinziehen lassen. Angesichts der als immer bedrohlicher empfundenen Präsenz Russlands in Osteuropa setzt man in Warschau, Riga oder Tallinn voll und ganz auf Washington als militärische Schutzmacht – und will das Weiße Haus deshalb unter gar keinen Umständen dauerhaft verärgern.
➤ Beispiel Italien: Lange blickten alle nur nach Griechenland. Doch viel verheerender wäre ein Austritt Italiens aus der EU oder dem Euro („Italexit“). Nach dem Austritt Großbritanniens wird Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der EU sein – mit einer eher unberechenbaren Regierung. Der neue Regierungschef Giuseppe Conte wird von den Populisten der „Fünf Sterne“und
den Rechtsextremen der „Lega Nord“getragen – beide eher europakritisch bis -feindlich eingestellt. Und beide Parteien versprechen ihren Wählern zudem finanzielle Wohltaten, obwohl die Wirtschaft lahmt und Italien mit Rekord-Schulden kämpft. Immerhin: Der bekannteste Euro-Kritiker Italiens, Paolo Savona, spielt in der neuen Regierung nur eine Nebenrolle. Und: Laut einer Umfrage wollen 80 Prozent der Italiener den Euro behalten. Ein Blick nach Athen zeigt zudem, dass sich Populisten wie Premierminister Alexis Tsipras im Amt von politischen Feuerköpfen zu pragmatischen Realpolitikern wandeln können.
➤ Beispiel Spanien: Nach dem Abgang des über eine Korruptionsaffäre gestürzten konservativen spanischen Premiers Mariano Rajoy regiert in Madrid fürs Erste der Sozialist Pedro Sánchez. Dieser gilt zwar als EU-Freund. Allerdings ist mit Rajoy ein Politiker zurückgetreten, der als enger Verbündeter der auf Haushaltsdisziplin Wert legenden „Nordländer“in der EU auftrat. Rajoy hatte eine gemeinsame Front der „Südländer“gegen das „Spardiktat des Nordens“immer verhindert. Und er hatte durchaus Erfolg: In seiner siebenjährigen Amtszeit sank die Arbeitslosigkeit von 27 auf 15 Prozent. Nicht ausgeschlossen, dass sich der „NordSüd-Konflikt“in der EU unter Pedro Sánchez nun wieder verschärft.
➤ Beispiel Brexit: Noch ist nicht geklärt, ob der Austritt Großbritanniens aus der EU im März 2019 die restlichen Mitgliedsländer hart treffen wird oder ob die Folgen für alle Beteiligten begrenzt werden können. Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren. Ein ungeordneter „harter“Brexit hätte nach Berechnungen von Ökonomen verheerende wirtschaftliche Folgen. Immerhin: Eine gütliche Trennung scheint in greifbarer Nähe zu sein. Mit der Zugehörigkeit Nordirlands sowohl zur EU als auch zum Königreich könnten die Grenzen zum EU-Mitglied Irland offen bleiben und ein zentraler Knackpunkt wäre gelöst.