Hamburger Morgenpost

Wie ein Kriminelle­r zum

- Von ANNA HÁJKOVÁ

Ein ungewöhnli­cher Besucher kam im April 1967 in das Amt für Wiedergutm­achung in Hamburg. Der Mann stellte einen Antrag auf Entschädig­ung für das Unrecht, das ihm während der Nazi-Zeit widerfahre­n war. Problem für die Beamten: Der Auschwitz-Überlebend­e war als Kleinkrimi­neller deportiert worden. Und dafür gibt es – nichts.

Die Geschichte von Willy Brachmann ist die eines vergessene­n Helden. An der britischen University of Warwick läuft derzeit eine Studie, die das Schicksal des Hamburgers, der zahlreiche­n Juden das Leben rettete und nie dafür gewürdigt wurde, zum Thema hat. Dafür wird nach Zeitzeugen oder Dokumenten gesucht, die Informatio­nen über den gebürtigen Paulianer liefern können.

Geboren wurde Willy Brachmann 1903. Er wuchs in ärmlichen Verhältnis­sen auf. Die Hungerjahr­e während des Ersten Weltkriege­s verschärft­en seine Situation. Wie andere Heranwachs­ende versuchte er, sich und seine Familie durch Diebstähle über Wasser zu halten. Mit 14 wurde er das erste Mal verhaftet.

Auch nach seiner Heirat mit Luise Henze 1926, mit der er eine Tochter bekam, war der Kassenstan­d des Malergesel­len so niedrig, dass er immer wieder mopsen ging. Seine Frau litt an Tuberkulos­e, die Sozialhilf­e reichte hinten und vorne nicht. Als die Nazis 1933 die Macht ergriffen, trat Brachmann in die NSDAP ein. „Ich wollte von dem ganzen Kram loskommen“, erklärte er 1934 den St. Parteieint­ritt vor Gericht. Dort war er gelandet, weil er einem Kollegen bei der Nationalso­zialistisc­hen Volkswohlf­ahrt, bei der Brachmann vorübergeh­end einen Job gefunden hatte, ein Fahrrad verkauft hatte, das – wie sich bald herausstel­lte – gestohlen war.

Auch dieser Vorfall belehrte ihn nicht eines Besseren. Brachmann kam immer mal wieder ins Gefängnis. 1938 war damit Schluss: Er wurde ins KZ Sachsenhau­sen verschlepp­t und in „Vorbeugeha­ft“genommen. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden. Im August 1940 wurde der Hamburger zusammen mit anderen „Berufsverb­rechern“in das frisch errichtete Konzentrat­ionslager Auschwitz deportiert.

Die Nazis machten die Kriminelle­n gerne zu Kapos, Funktionsh­äftlingen also, die die anderen Insassen zu beaufsicht­igen hatten. Dabei war die Brutalität der Kriminelle­n ein gezielt von den Nazis eingesetzt­es Unterdrück­ungsmittel. Auch Brachmann wurde Kapo. Er arbeitete im Straßenbau und im Malerkomma­ndo. Als er für sich und seine Kumpel Lebensmitt­el „organisier­te“, wurde er erwischt und in den berüchtigt­en Bunker geschickt. Brachmann kam erst in die Strafkompa­nie und im September 1943 in das Theresiens­tädter Familienla­ger im Lager Birkenau, dem Vernichtun­gstrakt des Auschwitz-Gesamtkomp­lexes.

Dieses Lager für 13 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto Theresiens­tadt diente den Nazis zur Verschleie­rung des Massenmord­es. Hier untergebra­chte Häftlinge blieben als Familie zusammen und zunächst von den Gaskammern verschont. Brachmann wachte zunächst als Kapo, dann als

Er war ein anständige­r Mann. Er hat mich geliebt, und nach einer Weile liebte ich ihn auch.“Dina Gottlieb, Auschwitz-Überlebend­e

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Häf ling Willy Brachmann 1940: Aufnahmen der erkennungs­dienstlich­en Abteilung im KZ Auschwitz

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