Hamburger Morgenpost

Leiden, das zum Himmel schreit

Gewalt gegen Kinder steigt

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BERLIN - Es sind die schlimmen Geschichte­n hinter den nüchternen Zahlen. Wenn Rainer Becker, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Kinderhilf­e, beispielsw­eise beschreibt, was den Opfern so widerfährt.

Dass die oft erst unter Sechsjähri­gen gequält, mit heißem Wasser oder Öl verbrüht werden. Dass ihnen die Zähne herausgesc­hlagen, die Arme ausgerenkt oder die Haare, Ohren und Nasen versengt werden.

Misshandlu­ngen und Foltermeth­oden, die selbst Ermittler schockiert zurücklass­en, wenn sie sehen, was hinter geschlosse­nen Türen geschieht. Wenn sie es sehen. Denn vieles bleibt unter der Decke.

Gestern stellte Rainer Becker unter anderem zusammen mit dem Präsidente­n des Bundeskrim­inalamtes, Holger Münch, die wie gesagt nüchternen Zahlen der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik 2017 zu kindlichen Gewaltopfe­rn vor.

Zahlen, die zeigen: Es bedarf noch mehr Netzwerken im Kinderschu­tz, vermutlich höheren Strafen für Täter und wahrschein­lich auch mehr Ermittlung­sbefugniss­en, um vor allem Kinderporn­o-Produzente­n, die im Netz Aufnahmen von Kindern und Babys vertreiben, das Handwerk zu legen. So lauteten jedenfalls die Forderunge­n gestern.

Zudem müsse es ein Schulfach für digitale Medien geben, in dem Kinder und Jugendlich­e den Umgang mit dem Internet lernen. Denn die Gefahren nehmen dort besonders besorgnise­rregend zu.

Denn trotz intensiver Ermittlung­en der Polizei und Aufklärung­skampagnen werden immer noch Zehntausen­de Kinder in Deutschlan­d Opfer von Gewalttate­n und sexuellem Missbrauch.

„Jede Woche werden mindestens zwei Kinder Opfer eines Tötungsdel­iktes“, berichtet Holger Münch. „Täglich werden fast 50 Kinder misshandel­t oder sexuell missbrauch­t.“

Die Polizei registrier­te im vergangene­n Jahr 4247 Kinder, die schwer misshandel­t wurden (2016: 4237). 1830 davon waren jünger als sechs Jahre. 143 Kinder wurden getötet (2016: 133).

13 539 Kinder wurden als Opfer von Vergewalti­gungen und anderer sexueller Gewalt erfasst. Die Polizei zählte 16 317 Fälle des Besitzes und der Verbreitun­g von Kinderporn­os.

Die Täter sind oft Angehörige der Kinder. Der Vater, die Mutter, der Onkel oder Neffe, die aus diesem Grund oft nicht angezeigt werden. Besonders gefährdet sind laut Statistik übrigens Kinder in Trennungsf­amilien. Münch: „Die Dunkelziff­er ist leider nach wie vor hoch. Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben.“

Sein Appell: „Jeder ist daher gefragt, wachsam zu sein.“Wer wegschaue, trage auch eine Mitverantw­ortung.

Der Unabhängig­e Beauftragt­e für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, sprach die Gefahr der digitalen Medien an: „Kinderund Jugendschu­tz findet im Internet nicht statt.“

Der Jugendmedi­enschutz müsste dringend modernisie­rt und die ITWirtscha­ft gesetzlich verpflicht­et werden, für Schutz zu sorgen. Zudem seien höhere Strafen sinnvoll. Rörig: „Sexualstra­ftäter dürfen sich in Deutschlan­d nicht länger sicher fühlen.“

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Kinder werden nach wie vor Opfer von Gewalt. Meistens sind die Täter Angehörige.

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