Ein Unfall zerstört zwei Leben
Lkw tötet Radfahrerin (19). Der Fahrer (61) sagt: „Ich schlafe damit ein, und jeden Morgen wache ich damit auf “
Die Zeugin Inga O. saß in ihrem Auto. Musste tatenlos zusehen, als der schreckliche Unfall an der Ecke Wandsbeker Chaussee/Ritterstraße (Eilbek) passierte. Anderthalb Jahre ist es her, und doch ist die 42-Jährige – wie alle Prozess-Beteiligten – noch sichtlich gezeichnet, als sie sich erinnert: „Der Lkw erfasste sie, schob sie einige Meter auf mich zu, und dann ... dann wurde sie quasi vom Lkw verschluckt!“
Vorher hatte sie den Fahrer noch per Hupen gewarnt, weil sie sah, dass die junge Radfahrerin im toten Winkel war. Karsten G. (61) hielt auch kurz. Aber offenbar nicht wegen ihrer Warnung. Er hatte vor dem Rechtsabbiegen Fußgänger durchgelassen, Nadine W. (†19) übersah er. Die junge Frau wurde vom rechten Vorderrad überrollt, starb an den schweren Verletzungen.
„Ich hatte gespürt, dass ich mit etwas kollidiert bin, aber hatte das eher hinten verortet“, sagt der Kraftfahrer. Er stieg aus, fragte die Zeugen, was passiert sei. Die Antwort: „Schauen Sie unter Ihren Wagen!“Dann bricht Karsten G. geschockt zusammen. „Er saß völlig verzweifelt vor dem Lkw, die Hände über dem Kopf“, berichtet Inga O., der Angeklagte starrt dabei ins Leere, wippt vor und zurück, um sich irgendwie zu beruhigen.
„Ich stehe jeden Tag mit dem Unfall auf und gehe jeden Tag damit ins Bett“, sagt er. Sechs Wochen war er arbeitsunfähig, dann wurde ihm empfohlen, wieder zu arbeiten. Damit er den Anschluss, den Job nicht verliert. 1700 Euro verdient er, ist verheiratet. Ob er schon öfter Unfälle gebaut hätte, fragt der Anwalt von Nadines Mutter Monika B., die als Nebenklägerin auftritt.
„Ich fahre seit 40 Jahren Lkw, natürlich gab’s da mal einen Auffahrunfall oder so.“Aber selbst verschuldet? Nein! In seiner Führerscheinakte, die der Richter verliest, ist auch nur eine Sache vermerkt – 49 Stundenkilometer in einer Tempo30-Zone, vor drei Jahren. Die Frage, die der Richter zu entscheiden hat: Hätte Karsten G. die junge Frau sehen können? Hat er also fahrlässig gehandelt?
Zwei Gutachter werden neben den Zeugen gehört. Die technisierte Art, in der sie von „Textil- und Blutanhaftungen auf der Fahrbahn“sprechen, mutet surreal an ob der Tragik des Geschehens. Immer wieder schießen der Mutter Tränen in die Augen, beißt sie sich mit den Zähnen in die Faust, um den Schmerz zu ertragen. Das Leben der Eltern ist zur Qual geworden: „Ich komme immer noch nicht darüber hinweg. Ein Teil von mir wurde aus dem Leben gerissen“, sagt die Mutter. Ihr Mann fordert Abbiegeassistenten.
Als sich der Angeklagte dann erstmals direkt an die Verbliebenen wendet, stockt vielen im Saal spürbar der Atem: „Es tut mir aufrichtig leid! Ich konnte Ihre Tochter wirklich nicht sehen!“Die Eltern nicken ihm zu. Das Leid, das alle tragen, lindert das nicht.
Der Richter befindet: Karsten G. hätte Nadine W. sehen können, die Schuld sei aber nicht schwer zu bewerten: Sechs Monate Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung, ausgesetzt zur Bewährung, und eine Geldstrafe bekommt er.
Vor allem aber muss er mit der Schuld leben.