Der Käpt’n knöpft sich Gauland vor
81 Jahre und kein bisschen leise:
Der Kapitän sieht aus wie ein alter CIA-Agent, der nach vielen Jahren zurück in die Stadt gekommen ist. Er trägt einen großen Schlapphut, als er am Fähranleger Övelgönne wartet, und eine Sonnenbrille. Es ist heiß an diesem Nachmittag, die Luft steht selbst unten an der Elbe. Gerade legt Fähre 62 ab, und der Fährkapitän schnauzt die Fahrgäste durch den Lautsprecher an, „Alder!“, doch erst mal die Leute aussteigen zu lassen. „Jung, die Sonnenbrille kann ich nicht abnehmen“, sagt Jürgen Schwandt, als wir uns an Deck eines Ausflugsschiffs an einen Tisch setzen. Die zweite Augenoperation ist erst ein paar Tage her, Grauer Star. Die nächsten Wochen darf er nicht lesen. „So ein Scheiß“. Wie es ihm sonst geht? „Altergerecht“, meint Schwandt, Jahrgang 1936, winkt ab, und zündet eine Zigarette an. Sein chronisches Leiden verbessert sich nicht mehr, doch darüber möchte er gar nicht reden. Worum es ihm geht, besprechen wir in den nächsten zwei Stunden – und schreiben diesen Text:
Der Rechtsextreme Alexander Gauland hat Hitler und das Dritte Reich als „Vogelschiss“verharmlost. Dutzende Millionen Tote, das unendliche Grauen des Holocaust und der Brand der Welt sind für ihn ein „Vogelschiss“. Ich habe Gauland als einem Vertreter meiner Generation vor zwei Jahren einen offenen Brief geschrieben, der selbstverständlich unbeantwortet blieb. Gauland muss den Krieg als Kind noch selbst erlebt haben. Er hat als Flüchtling, der durch das Auffanglager Friedland ging, garantiert Erinnerungen an diese Zeit. Er hat Not gelitten. Das vergisst man nicht. Ich habe die Flucht meiner Familie auch niemals vergessen.
Was also ist los mit dieser sprechenden Hundekrawatte? Hat er alles verdrängt? Ist er schizophren? Ist er in seinem Nationalismus derart bösartig? Gauland ist ein Kleingeist ohne Gewissen und Geschichtsbewusstsein. Wie die AfD den Mord an einem 14-jährigen Mädchen für ihre Zwecke instrumentalisiert, ist abscheulich. Sie spielen ohne jede Form von Anstand mit der Wut der Menschen. Sie stacheln sie an. Sie provozieren. Sie legen es darauf an, Deutschland zu spalten.
Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Manche sagen, man solle den Dialog suchen. Reden, zuhören, die Bedenken „ernst nehmen“. Ich sage: Schluss mit dem Verständnis für diese Ideologen. Nein, es gibt Dinge, die kann man nicht stehen lassen und auch nicht diskutieren. Wer die Verbrechen des Nationalsozialismus systematisch verharmlost, ist ein Feind unserer Demokratie. Kei- nen Zentimeter Raum darf man diesen Typen geben. Was ich nicht begreife, ist die Dummheit mancher Wähler: Glauben Sie beispielsweise wirklich, dass sich eine ehemalige GoldmanSachs-Managerin wie Alice Weidel, die aus steuerlichen Gründen in der Schweiz residiert, für den „kleinen Mann“interessiert? Wollen wir, dass ein
Westentaschen-Goebbels wie Höcke irgendein politisches Amt auf Bundesebene einnimmt?
Der Plan der AfD funktioniert. Eine Minderheit schiebt die große Mehrheit ganz langsam vor sich her. Durch Talkshows, durch den täglichen Mist in den Sozialen Medien. Aus Furcht, den rechten Rand nicht ausreichend zu bedienen, kommen einige in Schieflage. Einen FDP-Chef überkommen beim Bäcker seltsame Gedanken. CSU-Söder will Flüchtlinge persönlich mit dem Flugzeug zurückbringen, um dann daheim das Kreuz wieder auszurichten. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erkundigen sich Moderatoren nach dem Mord an der 14-jährigen Susanna durch einen Flüchtling allen Ernstes, „wie denn nun mit Asylbewerbern umgegangen werden muss“. Sie alle tragen dazu bei, den Thesen der AfD den Nährboden zu bereiten. Was vor einigen Monaten noch (zu Recht!) ein gewaltiger Skandal gewesen wäre, läuft heute fast als Normalität durch.
Die Stimmung ist mies in unserem Land, obwohl es den meisten (nicht allen) Bürgern wirtschaftlich so gut geht wie noch nie. Obwohl Deutschland so sicher ist wie seit der Wiedervereinigung nicht. Das Genörgel, das Gemecker, die Hetze sickern ein und vergiften unsere Gesellschaft. Die AfD kommt voran mit ihren Zielen, obwohl sie keine Pläne hat, nicht mal für die Rente. Es macht mich wütend zu sehen, dass sich Geschichte zu wiederholen droht. Die Menschen sind anscheinend nicht lernfähig.
Die Weltmeisterschaft wird die allgemeine Laune kaum verbessern, fürchte ich. Mit Fußball habe ich nie etwas zu tun gehabt, ich habe davon so viel Ahnung wie ein Walross vom Eistanz. Wenn Deutschland spielt, schalte ich ein, und beim letzten Testspiel hörte ich die Zuschauer pfeifen. Ich kann sie verstehen. Dass die Spieler Özil und Gündogan Wahlwerbung für einen Diktator machten, dem sie als „mein Präsident“huldigten, ist nicht akzeptabel. Ich hätte auch gepfiffen. Sie genießen die Freiheiten unserer Gesellschaft, verdienen viele Millionen und verraten so die Werte des Trikots, das sie tragen? Özil hat bis heute nicht Stellung bezogen. Er mogelt sich durch. Dass die DFB-Verantwortlichen nun das Publikum attackieren und Medien vorschreiben wollen, wie sie zu berichten haben, ist unmöglich. Man hätte sich diese Klarheit an anderer Stelle gewünscht: Sie hätten die Spieler nach Hause schicken sollen. Darum geht es in dieser verrückten Zeit. Fast alles ist politisch geworden. Jeder trägt einen Teil dazu bei, wie die Sache ausgeht. Stehe ich für etwas ein oder nicht? Darum geht es, für jeden von uns.
Das neue Buch von Kapitän Schwandt mit den besten Kolumnen aus der MOPO: „Klare Kante“. Überall im Buchhandel und auf www.ankerherz.de zu haben.
Wie die AfD den Mord an einem 14-jährigen Mädchen für ihre Zwecke instrumentalisiert, ist abscheulich.