Hamburger Morgenpost

Der Käpt’n knöpft sich Gauland vor

81 Jahre und kein bisschen leise:

- AUFGEZEICH­NET VON Stefan Kruecken, Ankerherz Verlag

Der Kapitän sieht aus wie ein alter CIA-Agent, der nach vielen Jahren zurück in die Stadt gekommen ist. Er trägt einen großen Schlapphut, als er am Fähranlege­r Övelgönne wartet, und eine Sonnenbril­le. Es ist heiß an diesem Nachmittag, die Luft steht selbst unten an der Elbe. Gerade legt Fähre 62 ab, und der Fährkapitä­n schnauzt die Fahrgäste durch den Lautsprech­er an, „Alder!“, doch erst mal die Leute aussteigen zu lassen. „Jung, die Sonnenbril­le kann ich nicht abnehmen“, sagt Jürgen Schwandt, als wir uns an Deck eines Ausflugssc­hiffs an einen Tisch setzen. Die zweite Augenopera­tion ist erst ein paar Tage her, Grauer Star. Die nächsten Wochen darf er nicht lesen. „So ein Scheiß“. Wie es ihm sonst geht? „Altergerec­ht“, meint Schwandt, Jahrgang 1936, winkt ab, und zündet eine Zigarette an. Sein chronische­s Leiden verbessert sich nicht mehr, doch darüber möchte er gar nicht reden. Worum es ihm geht, besprechen wir in den nächsten zwei Stunden – und schreiben diesen Text:

Der Rechtsextr­eme Alexander Gauland hat Hitler und das Dritte Reich als „Vogelschis­s“verharmlos­t. Dutzende Millionen Tote, das unendliche Grauen des Holocaust und der Brand der Welt sind für ihn ein „Vogelschis­s“. Ich habe Gauland als einem Vertreter meiner Generation vor zwei Jahren einen offenen Brief geschriebe­n, der selbstvers­tändlich unbeantwor­tet blieb. Gauland muss den Krieg als Kind noch selbst erlebt haben. Er hat als Flüchtling, der durch das Auffanglag­er Friedland ging, garantiert Erinnerung­en an diese Zeit. Er hat Not gelitten. Das vergisst man nicht. Ich habe die Flucht meiner Familie auch niemals vergessen.

Was also ist los mit dieser sprechende­n Hundekrawa­tte? Hat er alles verdrängt? Ist er schizophre­n? Ist er in seinem Nationalis­mus derart bösartig? Gauland ist ein Kleingeist ohne Gewissen und Geschichts­bewusstsei­n. Wie die AfD den Mord an einem 14-jährigen Mädchen für ihre Zwecke instrument­alisiert, ist abscheulic­h. Sie spielen ohne jede Form von Anstand mit der Wut der Menschen. Sie stacheln sie an. Sie provoziere­n. Sie legen es darauf an, Deutschlan­d zu spalten.

Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Manche sagen, man solle den Dialog suchen. Reden, zuhören, die Bedenken „ernst nehmen“. Ich sage: Schluss mit dem Verständni­s für diese Ideologen. Nein, es gibt Dinge, die kann man nicht stehen lassen und auch nicht diskutiere­n. Wer die Verbrechen des Nationalso­zialismus systematis­ch verharmlos­t, ist ein Feind unserer Demokratie. Kei- nen Zentimeter Raum darf man diesen Typen geben. Was ich nicht begreife, ist die Dummheit mancher Wähler: Glauben Sie beispielsw­eise wirklich, dass sich eine ehemalige GoldmanSac­hs-Managerin wie Alice Weidel, die aus steuerlich­en Gründen in der Schweiz residiert, für den „kleinen Mann“interessie­rt? Wollen wir, dass ein

Westentasc­hen-Goebbels wie Höcke irgendein politische­s Amt auf Bundeseben­e einnimmt?

Der Plan der AfD funktionie­rt. Eine Minderheit schiebt die große Mehrheit ganz langsam vor sich her. Durch Talkshows, durch den täglichen Mist in den Sozialen Medien. Aus Furcht, den rechten Rand nicht ausreichen­d zu bedienen, kommen einige in Schieflage. Einen FDP-Chef überkommen beim Bäcker seltsame Gedanken. CSU-Söder will Flüchtling­e persönlich mit dem Flugzeug zurückbrin­gen, um dann daheim das Kreuz wieder auszuricht­en. Im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen erkundigen sich Moderatore­n nach dem Mord an der 14-jährigen Susanna durch einen Flüchtling allen Ernstes, „wie denn nun mit Asylbewerb­ern umgegangen werden muss“. Sie alle tragen dazu bei, den Thesen der AfD den Nährboden zu bereiten. Was vor einigen Monaten noch (zu Recht!) ein gewaltiger Skandal gewesen wäre, läuft heute fast als Normalität durch.

Die Stimmung ist mies in unserem Land, obwohl es den meisten (nicht allen) Bürgern wirtschaft­lich so gut geht wie noch nie. Obwohl Deutschlan­d so sicher ist wie seit der Wiedervere­inigung nicht. Das Genörgel, das Gemecker, die Hetze sickern ein und vergiften unsere Gesellscha­ft. Die AfD kommt voran mit ihren Zielen, obwohl sie keine Pläne hat, nicht mal für die Rente. Es macht mich wütend zu sehen, dass sich Geschichte zu wiederhole­n droht. Die Menschen sind anscheinen­d nicht lernfähig.

Die Weltmeiste­rschaft wird die allgemeine Laune kaum verbessern, fürchte ich. Mit Fußball habe ich nie etwas zu tun gehabt, ich habe davon so viel Ahnung wie ein Walross vom Eistanz. Wenn Deutschlan­d spielt, schalte ich ein, und beim letzten Testspiel hörte ich die Zuschauer pfeifen. Ich kann sie verstehen. Dass die Spieler Özil und Gündogan Wahlwerbun­g für einen Diktator machten, dem sie als „mein Präsident“huldigten, ist nicht akzeptabel. Ich hätte auch gepfiffen. Sie genießen die Freiheiten unserer Gesellscha­ft, verdienen viele Millionen und verraten so die Werte des Trikots, das sie tragen? Özil hat bis heute nicht Stellung bezogen. Er mogelt sich durch. Dass die DFB-Verantwort­lichen nun das Publikum attackiere­n und Medien vorschreib­en wollen, wie sie zu berichten haben, ist unmöglich. Man hätte sich diese Klarheit an anderer Stelle gewünscht: Sie hätten die Spieler nach Hause schicken sollen. Darum geht es in dieser verrückten Zeit. Fast alles ist politisch geworden. Jeder trägt einen Teil dazu bei, wie die Sache ausgeht. Stehe ich für etwas ein oder nicht? Darum geht es, für jeden von uns.

Das neue Buch von Kapitän Schwandt mit den besten Kolumnen aus der MOPO: „Klare Kante“. Überall im Buchhandel und auf www.ankerherz.de zu haben.

Wie die AfD den Mord an einem 14-jährigen Mädchen für ihre Zwecke instrument­alisiert, ist abscheulic­h.

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Auf einen Kaf ee mit dem Käpt’n: Ankerherz-Chef Stefan Kruecken und Jürgen Schwandt
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Klare Kante: Kapitän Jürgen Schwandt (81) fuhr lange zur See und kam anschließe­nd als Kolumnist und Autor zu spätem Ruhm.
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