Hamburger Morgenpost

Darf man sich auf diese WM freuen?

Die dunklen Schatten über dem Turnier in Russland:

- AUFGEZEICH­NET von Nils Weber

Russland und die Fußball-WM – daran scheiden sich die Geister. Dass das größte sportliche Spektakel der Welt im Herrschaft­sbereich des Autokraten Putin stattfinde­t, dafür sind die Entscheide­r der FIFA verantwort­lich. Die Spieler und die Sportfans müssen es nun hinnehmen, egal wie sie dazu stehen. Nach dem ersten Anpfiff wird das Sportereig­nis an sich aber im Fokus stehen. Der TV-Zuschauer wird vor allem grünen Rasen, rollende Bälle und rennende Spieler sehen. Doch die Vorfreude ist getrübt, manchem ist sie schon abhandenge­kommen, denn beim Turnier 2018 geht es längst nicht nur um Sport und Entertainm­ent.

Machen wir uns nichts vor: Wladimir Putin wird die WM als Bühne nutzen und als große Propaganda-Show inszeniere­n. So hat es Russland bereits bei den Olympische­n Winterspie­len in Sotschi 2014 gemacht und im Nachhinein wissen wir, dass es einer der größten Korruption­s- und Dopingskan­dale des Sports schlechthi­n gewesen ist. Damals hat der russische Sport, haben Teile des russischen Staatsappa­rates die ganze Welt an der Nase herumgefüh­rt. Insofern ist durchaus auch diesmal Skepsis angebracht.

Dass die Politik völlig in den Schatten rückt, wenn erst einmal der Ball rollt, wie es oftmals der Fall ist und wie es der Weltverban­d FIFA gerne hätte – das wird bei dieser WM also nicht so einfach passieren. Die politische­n Rahmenbedi­ngungen sind besondere. Mit dem ersten Anstoß verschwind­en die Missstände und Probleme ja nicht. Sie liegen wie ein Schatten auf dieser WM.

Die Weltmeiste­rschaft 2018 findet in einem Land statt, das im jährlichen Ranking der Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“in Sachen Pressefrei­heit auf Platz 148 von 180 Ländern steht. Ein Land, in dem Journalist­en oder andere Menschen, die ihren Unmut über das Regime artikulier­en, verfolgt werden oder ihnen mitunter noch Schlimmere­s zustoßen kann. Ein Land, in dem Homosexuel­le diskrimini­ert werden, in dem es Probleme mit Rassismus gibt, auch im Fußball.

Auch ich selbst bin ja direkt von Russlands eigenwilli­gem Umgang mit der Pressefrei­heit betroffen. Ich gelte dort als unerwünsch­te Person und bin mit einem Einreiseve­rbot belegt, daran ändert auch die Ausnahmege­nehmigung für den Zeitraum der WM nichts. Mein Fall zeigt exemplaris­ch, dass Russland mit Kritik am dortigen Sportsyste­m überhaupt nicht umgehen kann, obwohl von offizielle­r Seite ja gerade sogar zumindest eine gewisse Verantwort­ung für die Verfehlung­en eingeräumt worden ist. Dass Überbringe­r von schlechten Nachrichte­n attackiert und diskrediti­ert werden, nicht aber die Verursache­r, spricht Bände.

Umso irritieren­der ist der überdeutli­che Schmusekur­s zwischen der FIFA und Russland. Wenn ich höre, dass FIFA-Präsident Gianni Infan-

tino kurz vor Turnierbeg­inn verkündet, es wird die beste WM aller Zeiten geben, dann frage ich mich, was ihn geritten hat. Es ist vor dem Hintergrun­d der politische­n Rahmenbedi­ngungen völlig fehl am Platze, Putins Autokratie zu umschmeich­eln und damit auch noch Salz in die Wunden von etlichen Menschen zu streuen, die unter dem System in Russland leiden.

Es ist unglaubwür­dig, dass die FIFA auf der einen Seite vollmundig von Ethik, Fairplay und Chancengle­ichheit redet und ihre angebliche politische Neutralitä­t betont, aber gleichzeit­ig Weltmeiste­rschaften in Länder mit autokratis­chen Regimen vergibt wie jetzt Russland oder 2022 Katar.

Die Tatsache, dass der Weltverban­d, der eigentlich am längeren Hebel sitzen und auf die Einhaltung seiner formuliert­en Standards wie Menschenre­chte pochen sollte, kritische Töne in Richtung des Gastgebers scheut, zeigt leider auch, wie einflussre­ich Russland im Weltsport ist, welch starke Lobby es da gibt, auch im Internatio­nalen Olympische­n Komitee. Wenn man dann noch weiß, dass Russland in der technische­n Bewertung der FIFA-Prüfungsko­mmission die schlechtes­ten Noten aller Bewerber bekommen hat und trotzdem als WMGastgebe­r gewählt worden ist, dann muss man schon kritisch fragen, welche Gründe tatsächlic­h den Ausschlag für den eigentlich schwächste­n Kandidaten gegeben haben.

Die Russen pochen jetzt ja gerne darauf, dass Sport und Politik nichts miteinande­r zu tun haben, dass man beides trennen solle – was absurd ist, weil man das bei Großereign­issen wie einer Fußball-WM oder Olympia nicht kann. Paradoxerw­eise war es ja gerade Russland, das mit den Spielen von Sotschi den gigantisch­en Betrug durch das Sportminis­terium mit koordinier­t und damit Politik und Sport auf nahezu kriminelle Weise miteinande­r verknüpft hat.

Die Debatte darüber, ob deutsche Politiker zur WM nach Russland reisen sollten oder nicht, ist richtig und wichtig. Ich bin der Meinung: Wenn man hinfährt, muss man ja nicht mit Putin Shakehands auf der Ehrentribü­ne machen und damit genau die Bilder liefern, die er haben will. Man kann auch mit dem Auftreten vor Ort sehr deutlich machen, was man von bestimmten Vorgehensw­eisen und Zuständen im Land des Gastgebers hält. Da erscheint mir ein deutliches Signal von unseren Politikern angebracht.

Ich kann verstehen, dass sich viele Fußball-Fans auf die WM freuen, Spaß an den Spielen haben möchten und dieses Gefühl für die Dauer des Turniers überwiegt. Die Begeisteru­ng bleibt unbenommen, eine Fußball-WM ist ein Kulturerei­gnis. Man sollte aber immer auch wissen, unter welchen politische­n Rahmenbedi­ngungen eine Weltmeiste­rschaft stattfinde­t und welche Zustände im Gastgeberl­and herrschen. Ich wünsche mir, dass sich der Zuschauer bei aller Begeisteru­ng für den Sport den kritischen Blick für die Missstände bewahrt.

Machen wir uns nichts vor: Putin wird die WM als Bühne nutzen und als große Propaganda­Show inszeniere­n.

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Mächtige Allianz: Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) mit FIFA-Präsident Gianni Infantino und dem WM-Pokal

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