Hamburger Morgenpost

Der Engel an Anne Franks Sterbebett

Gena Turgel hatte das Mädchen im KZ bis zuletzt gepflegt

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LONDON - Vier Konzentrat­ionslager überlebte Gena Turgel als junge Frau. Vergangene­n Donnerstag starb sie im Alter von 95 Jahren. In den letzten Kriegsmona­ten war sie in Bergen-Belsen inhaftiert und arbeitete dort auf der Krankensta­tion. Dabei pflegte sie auch die damals 15-jährige Anne Frank, deren Tagebuch, geschriebe­n in ihrem Versteck in Amsterdam, zu einem Stück Weltlitera­tur wurde.

„Ihr Bett war um die Ecke von mir“, sagte Turgel einmal. „Sie war im Delirium, hatte hohes Fieber. Ich gab ihr Wasser zu trinken und wusch ihr Gesicht.“Damals habe sie nicht gewusst, dass Anne Frank etwas Besonderes war. „Aber sie war ein nettes Mädchen“, sagte Turgel. „Ich sehe sie immer noch vor mir: wie sie da liegt und ihr Gesicht. Es war so rot und dann starb sie“, erinnert sie sich an die letzten Tage des Mädchens aus dem Amsterdame­r Hinterhaus.

Anne Frank fiel im Februar oder März 1945 wohl dem Fleckfiebe­r zum Opfer. Anfang des Jahres 1945 waren die hygienisch­en Voraussetz­ungen in Bergen-Belsen noch schlechter als ohnehin schon. Krankheite­n konnten sich leicht ausbreiten. „Jede Nacht starben 500 Menschen“, berichtete Turgel. Sie selbst überlebte und schrieb ihre eigene Geschichte auf.

Als das Konzentrat­ionslager im April 1945 von der britischen Armee befreit wurde, war unter den Soldaten auch ihr späterer Ehemann Norman Turgel. Ein halbes Jahr nach der Befreiung heirateten die beiden. Gena Turgel ging als die „Braut von Belsen“in die Geschichte ein.

Zuvor durchlebte auch sie ihr persönlich­es Martyrium. Als die Wehrmacht 1939 in Polen einmarschi­erte, war sie gerade 16 Jahre alt. Sie wurde mit ihrer Mutter und vier ihrer acht Geschwiste­r ins Krakauer Ghetto gesperrt. Später kam sie nach Plaszow ins Arbeitslag­er. 1944 musste sie nach Auschwitz marschiere­n, kurz danach schickten die Nazis sie auf den Todesmarsc­h nach Buchenwald, ehe sie mit einem Viehwagen in ihr viertes KZ nach Bergen-Belsen gebracht wurde.

Seit ihrer Rettung kämpfte die Holocaustü­berlebende dafür, dass die Verbrechen der Nazis nicht in Vergessenh­eit geraten. Sie hielt Vorträge, trat als Zeitzeugin auf und verarbeite­te ihre Erfahrunge­n in ihren Memoiren, die 1987 als Buch und fünf Jahre später auf Kassette herauskame­n.

Wie das Tagebuch der Anne Frank werden auch Gena Turgels Memoiren an die Schrecken des Holocausts erinnern – als einmalige Zeitdokume­nte.

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Gena Turgel hielt die Erinnerung an den Holocaust mit Vorträgen und einem Buch am Leben.
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Gemeinsam mit Anne Frank (links) war Gena Turgel im KZ BergenBels­en inhaftiert.
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2015 traf Gena Turgel Queen Elizabeth II.

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