Hamburger Morgenpost

Ach, wäre es doch „nur“Fußball

Der unerfüllte Wunsch nach einem klaren Bekenntnis von Özil und Gündogan

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Die Hoffnung war ja lange da, dass der Fußball über religiöse, ideologisc­he und politische Grenzen hinweg zur Völkervers­tändigung beitragen könne. Respekt und Fairness, Verständni­s für die unterschie­dlichen Lebensweis­en und Kulturen sollten die Menschen einander näherbring­en. Selbst in Diktaturen und ja beinahe faschistis­chen Ländern wurden Spiele und Turniere ausgetrage­n, immer in der Hoffnung, dass es den unterdrück­ten Massen irgendwie nützen und was an den Systemen ändern könnte. Geholfen hat es in den meisten Fällen bisher wenig. Das wird auch für die Weltmeiste­rschaft in Putins Russland gelten. Doch FIFA, UEFA und DFB lassen sich kaum beirren. Sie ignorieren mit aller Macht die politische­n Verhältnis­se. So stellte wohl auch keiner der Fußball-Funktionär­e den letzten Test unserer Mannschaft gegen Saudi-Arabien in Frage, ein Land, das mit unseren Werten so rein gar nichts im Sinn hat. Man hatte wohl gehofft, durch einen hohen, spektakulä­ren Sieg die Fans in WMStimmung zu bringen und ganz nebenbei auch die Diskussion­en um Mesut Özil und Ilkay Gündogan verstummen zu lassen. Pustekuche­n. Sportlich wenig überzeugen­d, Özil gar nicht dabei und Gündogan bei jeder Aktion ausgepfiff­en. Die Mannschaft verunsiche­rt. Der DFB abgetaucht. Und die Rechten in unserem Land in der Hoffnung, das Stimmungsd­esaster für ihre Zwecke ausnutzen zu können. Damit das klar ist: Das Ablichtenl­assen und die Trikot-Unterstütz­ung von Özil und Gündogan für den türkischen Präsidente­n taugen nicht für Fremdenhas­s und Ausländerf­eindlichke­it. Boateng, Khedira und Co. haben sich längst in die Herzen der deutschen Fans gespielt. Die Pfiffe in Leverkusen waren mit vielleicht wenigen Ausnahmen Ausdruck politische­r Missbillig­ung des Verhaltens der beiden Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln. Beide haben immer noch nicht erklärt, warum sie mitten im Wahlkampf Erdogan unterstütz­ten, der sich mehr und mehr von unseren Wertvorste­llungen entfernt. Gar nichts zu sagen wie Özil oder auch das Bekenntnis von Gündogan, sich in unserer Mannschaft sehr wohlzufühl­en, reichen da beileibe nicht.

Gerade in diesen Zeiten ist Haltung gefragt. Das gilt in besonderem Maße für die Vorbilder vieler junger Menschen, egal ob im Sport oder in der Musik. Siege sind das eine, Respekt, Fairness und Empathie das andere. Schön wäre auch, wenn Politik das vorleben und nicht den Populisten in aller Welt auf den Leim gehen würde. Wir brauchen Menschen mit Rückgrat auch und gerade im Fußball bei unseren Weltmeiste­rn. Wie wäre es mit einem klaren Bekenntnis zu unseren demokratis­chen Errungensc­haften, zur Presse- und Meinungsfr­eiheit, Trennung von Staat und Kirche, Legislativ­e und Judikative? Ja, das wünsche ich mir auch von Özil und Gündogan. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass da noch irgendwas in diese Richtung kommt. Vielleicht bekommt ja auch der DFB noch die richtige Kurve. Schließlic­h – trotz aller Bedenken und allen Ärgers – möchte ich noch schönen erfolgreic­hen Fußball sehen, meinetwege­n auch „nur“Fußball mit glanzvolle­n Paraden und vielen Toren.

 ??  ?? Rollo Fuhrmann war 25 Jahre lang der kultigste Fußball-Reporter bei Premiere und Sky. Mehr als 7000 Interviews führte der heute 68-Jährige, der schon mit 16 Jahren als DJ durchstart­ete, später als Lehrer Deutsch und Geographie unterricht­ete und Sketche...
Rollo Fuhrmann war 25 Jahre lang der kultigste Fußball-Reporter bei Premiere und Sky. Mehr als 7000 Interviews führte der heute 68-Jährige, der schon mit 16 Jahren als DJ durchstart­ete, später als Lehrer Deutsch und Geographie unterricht­ete und Sketche...

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