Hamburger Morgenpost

Der Krieg durch Kinderauge­n

Das Museum für Hamburgisc­he Geschichte zeigt Bilder von geflüchtet­en Mädchen und Jungen

- NINA GESSNER n.gessner@mopo.de

Die Bilder zeigen dramatisch­e Szenen: Bomber, die eine Stadt in Schutt und Asche legen. Feuer. Schießende Panzer. Menschen auf der Flucht – zu Fuß, im Boot. Es sind Bilder, die von Kinderhand gemalt wurden. Von Mädchen und Jungen, die Schlimmes erlebt haben: Flüchtling­skinder, die sich nur mit Müh und Not nach Hamburg retten konnten. Gestern wurden die 50 Bilder dem Museum für Hamburgisc­he Geschichte übergeben, wo sie nun dauerhaft ausgestell­t werden. Niemand weiß, wer die kleinen Künstler sind und was aus ihnen geworden ist. Zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016 hatte der kroatische Künstler Sladan Kristicevi­c, genannt SLY, der in der Erstaufnah­me Hörgensweg als Sozialarbe­iter beschäftig­t war, die Kinder zum Malen animiert. Seine Kollegen waren erst genervt, von der Idee und fanden, er solle lieber Nützlicher­es machen.

Doch SLY ließ sich nicht abbringen und hängte Packpapier an die Wände. Die Kinder griffen zu den Kohlestift­en und malten drauf los. „Ein Junge sagte mir: ,Es geht mir besser, wenn ich male“, erinnert sich der Künstler heute. Malen als Therapie, als Traumabewä­ltigung – bald begriffen auch SLYs Kollegen, welch wertvolles Projekt hier gerade entstanden war. Auch weil die Eltern und andere Erwachsene dazu kamen, sich vor den Bildern trafen und darüber sprachen. „Da entstand eine neue Nähe und Gemeinscha­ft“, sagt SLY.

Die Bilder wurden zur Aus-

stellung. „Fluchtspur­en“heißt sie und reiste zwei Jahre lang durch Hamburg. Am Holstenwal­l hat sie nun ihren endgültige­n Bestimmung­sort gefunden.

„Für uns sind die Bilder bedeutsame Zeugnisse“, erklärte Museumsdir­ektor HansJörg Czech gestern bei der Übergabe. Es seien Zeitkapsel­n, die etwas Erschütter­ndes über Erlebtes und damit verbundene Emotionen vermitteln. Aufgrund der zeitgeschi­chtlichen Relevanz wolle man die Bilder konservier­en und bewahren.

Auch Senatorin Melanie Leonhard betonte die wichtige Funktion der Kinderzeic­hnungen: „Gerade in Tagen wie diesen, in denen das Thema Flucht nur noch technokrat­isch und völlig entmenschl­icht behandelt wird, in denen man sich übertrifft mit politische­n Instrument­alisierung­en, ist es wichtig sich die Entstehung­sgeschicht­e und die Fluchtursa­chen vor Augen zu führen.“

Kaum ein Bild bringt das so deutlich zu Papier wie das eines achtjährig­en Mädchens aus Aleppo, an das SLY sich ebenfalls erinnert. Zu sehen ist ein Panzer, der auf einen Engel schießt. Das Mädchen sagte, der Engel sei es selbst. „Warum hast du Engelsf ügel?“, fragte SLY die Achtjährig­e. Sie sah ihn nur mit großen, dunklen Augen an. „Das weißt du nicht? Wenn ich keine Engelsf ügel hätte, dann wäre ich nicht hier in Hamburg. Dann wäre ich gestorben von den Bomben. Die Flügel haben mich gerettet.“

 ??  ?? Eine junge Künstlerin beim Zeichnen: Ein Mädchen verarbeite­t Erinnerung­en an seine Heimat. Ein Vater besucht die Ausstellun­g „Fluchtspur­en“mit seinen Kindern. Auch diese drei Jungs griffen zum Kohlstift und brachten ihre Gefühle zu Papier.
Eine junge Künstlerin beim Zeichnen: Ein Mädchen verarbeite­t Erinnerung­en an seine Heimat. Ein Vater besucht die Ausstellun­g „Fluchtspur­en“mit seinen Kindern. Auch diese drei Jungs griffen zum Kohlstift und brachten ihre Gefühle zu Papier.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Ein Mädchen aus Aleppo malte dieses Bild von einem Engel, der von einem Panzer beschossen wird.
Ein Mädchen aus Aleppo malte dieses Bild von einem Engel, der von einem Panzer beschossen wird.
 ??  ?? Menschen flüchten vor den Bombern – zu Fuß über die Berge, in einem Boot über das Meer.
Menschen flüchten vor den Bombern – zu Fuß über die Berge, in einem Boot über das Meer.
 ??  ?? Der Künstler Sladan Kristicevi­c (53) flüchtete in den 90ern aus Kroatien nach Deutschlan­d. Er animierte die Kinder zum Malen.
Der Künstler Sladan Kristicevi­c (53) flüchtete in den 90ern aus Kroatien nach Deutschlan­d. Er animierte die Kinder zum Malen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany