Hamburger Morgenpost

Merkels vier Fehler im Flüchtling­s-Drama

Die Kanzlerin hat auf die Provokatio­nen der CSU falsch reagiert

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BERLIN - Vier Stunden hatte der Koalitions­ausschuss getagt. Den Asylstreit konnten (oder wollten) die Parteichef­s Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Andrea Nahles (SPD) nicht entschärfe­n. CDU-Fraktionsc­hef Volker Kauder sprach danach von einer „sehr ernsten Lage“. Vor allem seine Chefin steht vor dem heute beginnende­n EU-Gipfel unter Druck. Die Lage könnte für Merkel komfortabl­er sein – hätte sie nicht entscheide­nde Fehler gemacht.

➤ Der „Pflicht-Fehler“: Die Kanzlerin hat ihren Innenminis­ter nicht in die Pflicht genommen. Statt Seehofer dazu zu drängen, seinen angekündig­ten „Masterplan“zur Zuwanderun­g zu veröffentl­ichen, hat sie Seehofer stattdesse­n andere Themen setzen lassen. Seehofer müsste sich nach einer Veröffentl­ichung seines Plans vermutlich massiv wegen der „Ankerzentr­en“verteidige­n. Der Bayer wäre in der Defensive, nicht die Kanzlerin.

➤ Der „Kompetenz-Fehler“: Merkel hat die Zurückweis­ungspläne Seehofers selbst „geadelt“. Die Zahl der Migranten, die (unter Berücksich­tigung verschiede­ner Ausnahmere­gelungen) tatsächlic­h von einer solchen Zurückweis­ung an der Grenze betroffen wären, geht höchstens in die Hunderte – angesichts von 68 000 Asylanträg­en 2018 (bis Mai) eine geringe Zahl. Die Kanzlerin drohte aber mit ihrer „Richtlinie­nkompetenz“, die sie laut Grundgeset­z gegenüber ihren Ministern hat. Dies hat sie unnötig in eine „Er-oderich-Situation“gebracht.

➤ Der „Übernahmef­ehler“: Die Zahl der Migranten ist aktuell nicht annähernd so hoch, wie sie z.B. 2015 war. Man könnte argumentie­ren, der Handlungsd­ruck ist gar nicht so groß, wie die CSU es die Öffentlich­keit glauben machen will. Selbst die von der CSU in den Koalitions­vertrag hineinverh­andelte Obergrenze von 200000 wird deutlich unterschri­tten. Trotzdem hat Merkel die Rhetorik der CSU in Teilen übernommen. Sie sagt beispielsw­eise, sie wolle die „illegale Migration“reduzieren – und erweckt so den Eindruck einer Systemkris­e, der man mit radikalen Mitteln begegnen müsse.

➤ Der „Alternativ­en-Fehler“: Merkel könnte Seehofer stärker auf dessen Möglichkei­ten hinweisen, ihm und der Öffentlich­keit Alternativ­en zum Krawallkur­s aufzeigen. Wenn Seehofer z.B. mangelnde Rückführun­gen nach Italien beklagt, könnte sie darauf hinweisen, dass dafür das Bundesamt für Migration zuständig ist. Dienstherr: Horst Seehofer.

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