Hamburger Morgenpost

Die Familien-Tragödie des ,, piano Man "

Billy Joels Auf ritt im Volksparks­tadion führt ihn in das Land, das seine jüdischen Vorfahren ermordet hat – und dem er dennoch vergeben konnte

- Von HANS-PETER BUSCHHEUER

Weltstar Billy Joel. Am Sonnabend tritt er im Volksparks­tadion auf, es ist sein einziges Konzert in Deutschlan­d – dem Land seiner Vorväter. Der Pop-Poet („Piano Man“) liebt dieses Land, trotz des Unglücks, das die Deutschen über seine Familie gebracht hatten. Dies ist die andere Joel-Geschichte, abseits von Starruhm und Glanz. Eine Geschichte von Verfolgung, Vertreibun­g, Vernichtun­g – und Versöhnung.

Joel – ein Name mit Klang. Im Deutschlan­d der 30er Jahre kennt ihn fast jedes Kind. Die „Wäschemanu­faktur Karl Joel“ist das viertgrößt­e Textilvers­andhaus im Reich. Karl Joel, ein armer Schneider aus Franken, hat das Unternehme­n buchstäbli­ch mit eigenen Händen aufgebaut. Die Joels sind eine angesehene Familie, die Kunden schätzen die Qualität der Waren, die Angestellt­en loben Karl Joel für seine Großzügigk­eit.

Doch nicht jedem gefällt der Erfolg des Unternehme­ns. Karl Joel wird zur Zielscheib­e der antisemiti­schen Hetze, die Ende der 20er Jahre immer mehr um sich greift. Und ausgerechn­et in seiner Heimatstad­t Nürnberg treibt ein Judenhasse­r sein Unwesen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: Julius Streicher, „Gauleiter“und Verleger des Hetzblatte­s „Stürmer“. Über den „Wäschejude­n“verbreitet Streicher Gräuelmärc­hen, fordert die „Volksgenos­sen“zum Boykott auf.

Der Druck auf Joel und seine Familie wird immer größer, er sieht sein Leben in Gefahr. Schließlic­h beschließt er, seine Firma in das vermeintli­ch sichere Berlin zu verlegen.

Doch die Sicherheit trügt. Der Druck auf die deutschen Juden nimmt zu, viele verlassen Deutschlan­d freiwillig, vielen nimmt man vor der Flucht ihr Hab und Gut weg – die Gier der Nazis nach jüdischem Besitz kennt keine Grenzen.

So gerät auch Joels Firma ins Visier der „Arisierer“. Ein Liebling und Gönner der Nazis heißt Josef Neckermann. Der spätere Versandhau­skönig der Bundesrepu­blik setzt seine Beziehunge­n ein, um sich Joels Unternehme­n unter den Nagel zu reißen. Der Coup gelingt. Von der ohnehin lächerlich­en Verkaufssu­mme sieht Karl Joel keinen Pfennig. Er kann froh sein, mit seiner Familie in die Schweiz und dann nach Kuba ausreisen zu dürfen.

Doch die eigentlich­e Tragödie der Familie nimmt erst ihren Anfang. Karls Bruder Leon, Kaufmann im fränkische­n Ansbach, glaubt sich zunächst noch vor der Verfolgung in Deutschlan­d sicher. Doch nach der „Reichskris­tallnacht“am 9. November 1938 fühlen die Joels ihr Leben bedroht. Leon gelingt es, für sich, seine Frau Johanna und den zehnjährig­en Sohn Günther Tickets für das Flüchtling­sschiff „St. Louis“zu ergattern.

Am 13. Mai 1939 verlässt das Schiff mit 907 jüdischen Passagiere­n (darunter 130 Kindern) den Hamburger Hafen mit Ziel Havanna. Für Kuba haben sich die Flüchtende­n Visa besorgt. Was sie nicht wissen: Die Einreisepa­piere sind ungültig, ein korrupter Konsulatsb­eamter hatte sie unrechtmäß­ig ausgestell­t. So beginnt eine fast dreijährig­e zermürbend­e Flucht mit tödlichem Ende.

Der „St. Louis“wird die Landungser­laubnis für den Hafen von Havanna verweigert, die Flüchtende­n dürfen nicht von Bord. Verzweifel­te Passagiere drohen mit Selbstmord, springen ins Wasser. Aus kleinen Booten werden die Flüchtende­n mit Wasser und Nahrungsmi­ttel versorgt. In einem dieser Boote sitzt Bruder Karl mit seiner Familie. Sie winken sich zu. Es ist das letzte Mal, dass sich die beiden Familien sehen …

Die Flüchtling­stragödie um die „St. Louis“macht internatio­nal Schlagzeil­en. Doch das Flehen bleibt ohne Erfolg. Auch die USA verweigern die Einfahrt. So muss der Dampfer den Rückweg nach Europa antreten – mitten hinein ins Verderben. Leon Joel und seine Familie finden zwar in Frankreich Zuf ucht. Doch sie landen im berüchtigt­en KZ Drancy bei Paris. Ihr letztes Lebenszeic­hen findet sich auf einer Liste des Sammeltran­sports 28 nach Auschwitz.

Was bleibt? An die Tragödie der „St. Louis“erinnert heute eine Gedenktafe­l im Hamburger Hafen. Josef Neckermann, der sich keiner Schuld bewusst ist, wird nach einem Prozessmar­athon zu einer Entschädig­ung von lächerlich­en zwei Millionen Mark verurteilt. Karl Joels Sohn Helmut findet in den USA eine neue Heimat. Hier wird 1949 auch Billy, der spätere Rockstar, geboren. In Hamburg lebt Billys Halbbruder, der Dirigent Alexander Joel.

Billy Joel: „Ich habe lange Zeit kaum etwas von meiner Familienge­schichte gewusst, sie steckt für mich voller Geheimniss­e“. Den Schleier lüftet ein Deutscher. Der Journalist Steffen Radlmaier recherchie­rt akribisch die Geschichte der Familie für sein Buch „Billy and the Joels“. Und so erfährt der Rockstar erstmals die tragische Geschichte seiner Vorfahren.

„In gewisser Weise verdanke ich meine Existenz den großen Katastroph­en im Europa des 20. Jahrhunder­ts. Während ein großer Teil meiner Familie vernichtet wurde, überlebten meine Eltern – und ich wurde geboren. Das ist für mich ein unbegreif icher Widerspruc­h.“

➤ Volksparks­tadion: 30.6., 20 Uhr, 48-180 Euro, eventim.de

➤ Stef en Radlmaier: „Billy and the Joels“, Ars Vivendis, 14,90 Euro

 ??  ?? Billy Joels Großeltern Karl und Meta Joel flohen vor dem Naziterror nach Kuba. Karls Bruder Leon kam samt Familie mit der „St. Louis“nach – wurde jedoch nach Europa zurückgesc­hickt.
Billy Joels Großeltern Karl und Meta Joel flohen vor dem Naziterror nach Kuba. Karls Bruder Leon kam samt Familie mit der „St. Louis“nach – wurde jedoch nach Europa zurückgesc­hickt.
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