Die Familien-Tragödie des ,, piano Man "
Billy Joels Auf ritt im Volksparkstadion führt ihn in das Land, das seine jüdischen Vorfahren ermordet hat – und dem er dennoch vergeben konnte
Weltstar Billy Joel. Am Sonnabend tritt er im Volksparkstadion auf, es ist sein einziges Konzert in Deutschland – dem Land seiner Vorväter. Der Pop-Poet („Piano Man“) liebt dieses Land, trotz des Unglücks, das die Deutschen über seine Familie gebracht hatten. Dies ist die andere Joel-Geschichte, abseits von Starruhm und Glanz. Eine Geschichte von Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung – und Versöhnung.
Joel – ein Name mit Klang. Im Deutschland der 30er Jahre kennt ihn fast jedes Kind. Die „Wäschemanufaktur Karl Joel“ist das viertgrößte Textilversandhaus im Reich. Karl Joel, ein armer Schneider aus Franken, hat das Unternehmen buchstäblich mit eigenen Händen aufgebaut. Die Joels sind eine angesehene Familie, die Kunden schätzen die Qualität der Waren, die Angestellten loben Karl Joel für seine Großzügigkeit.
Doch nicht jedem gefällt der Erfolg des Unternehmens. Karl Joel wird zur Zielscheibe der antisemitischen Hetze, die Ende der 20er Jahre immer mehr um sich greift. Und ausgerechnet in seiner Heimatstadt Nürnberg treibt ein Judenhasser sein Unwesen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: Julius Streicher, „Gauleiter“und Verleger des Hetzblattes „Stürmer“. Über den „Wäschejuden“verbreitet Streicher Gräuelmärchen, fordert die „Volksgenossen“zum Boykott auf.
Der Druck auf Joel und seine Familie wird immer größer, er sieht sein Leben in Gefahr. Schließlich beschließt er, seine Firma in das vermeintlich sichere Berlin zu verlegen.
Doch die Sicherheit trügt. Der Druck auf die deutschen Juden nimmt zu, viele verlassen Deutschland freiwillig, vielen nimmt man vor der Flucht ihr Hab und Gut weg – die Gier der Nazis nach jüdischem Besitz kennt keine Grenzen.
So gerät auch Joels Firma ins Visier der „Arisierer“. Ein Liebling und Gönner der Nazis heißt Josef Neckermann. Der spätere Versandhauskönig der Bundesrepublik setzt seine Beziehungen ein, um sich Joels Unternehmen unter den Nagel zu reißen. Der Coup gelingt. Von der ohnehin lächerlichen Verkaufssumme sieht Karl Joel keinen Pfennig. Er kann froh sein, mit seiner Familie in die Schweiz und dann nach Kuba ausreisen zu dürfen.
Doch die eigentliche Tragödie der Familie nimmt erst ihren Anfang. Karls Bruder Leon, Kaufmann im fränkischen Ansbach, glaubt sich zunächst noch vor der Verfolgung in Deutschland sicher. Doch nach der „Reichskristallnacht“am 9. November 1938 fühlen die Joels ihr Leben bedroht. Leon gelingt es, für sich, seine Frau Johanna und den zehnjährigen Sohn Günther Tickets für das Flüchtlingsschiff „St. Louis“zu ergattern.
Am 13. Mai 1939 verlässt das Schiff mit 907 jüdischen Passagieren (darunter 130 Kindern) den Hamburger Hafen mit Ziel Havanna. Für Kuba haben sich die Flüchtenden Visa besorgt. Was sie nicht wissen: Die Einreisepapiere sind ungültig, ein korrupter Konsulatsbeamter hatte sie unrechtmäßig ausgestellt. So beginnt eine fast dreijährige zermürbende Flucht mit tödlichem Ende.
Der „St. Louis“wird die Landungserlaubnis für den Hafen von Havanna verweigert, die Flüchtenden dürfen nicht von Bord. Verzweifelte Passagiere drohen mit Selbstmord, springen ins Wasser. Aus kleinen Booten werden die Flüchtenden mit Wasser und Nahrungsmittel versorgt. In einem dieser Boote sitzt Bruder Karl mit seiner Familie. Sie winken sich zu. Es ist das letzte Mal, dass sich die beiden Familien sehen …
Die Flüchtlingstragödie um die „St. Louis“macht international Schlagzeilen. Doch das Flehen bleibt ohne Erfolg. Auch die USA verweigern die Einfahrt. So muss der Dampfer den Rückweg nach Europa antreten – mitten hinein ins Verderben. Leon Joel und seine Familie finden zwar in Frankreich Zuf ucht. Doch sie landen im berüchtigten KZ Drancy bei Paris. Ihr letztes Lebenszeichen findet sich auf einer Liste des Sammeltransports 28 nach Auschwitz.
Was bleibt? An die Tragödie der „St. Louis“erinnert heute eine Gedenktafel im Hamburger Hafen. Josef Neckermann, der sich keiner Schuld bewusst ist, wird nach einem Prozessmarathon zu einer Entschädigung von lächerlichen zwei Millionen Mark verurteilt. Karl Joels Sohn Helmut findet in den USA eine neue Heimat. Hier wird 1949 auch Billy, der spätere Rockstar, geboren. In Hamburg lebt Billys Halbbruder, der Dirigent Alexander Joel.
Billy Joel: „Ich habe lange Zeit kaum etwas von meiner Familiengeschichte gewusst, sie steckt für mich voller Geheimnisse“. Den Schleier lüftet ein Deutscher. Der Journalist Steffen Radlmaier recherchiert akribisch die Geschichte der Familie für sein Buch „Billy and the Joels“. Und so erfährt der Rockstar erstmals die tragische Geschichte seiner Vorfahren.
„In gewisser Weise verdanke ich meine Existenz den großen Katastrophen im Europa des 20. Jahrhunderts. Während ein großer Teil meiner Familie vernichtet wurde, überlebten meine Eltern – und ich wurde geboren. Das ist für mich ein unbegreif icher Widerspruch.“
➤ Volksparkstadion: 30.6., 20 Uhr, 48-180 Euro, eventim.de
➤ Stef en Radlmaier: „Billy and the Joels“, Ars Vivendis, 14,90 Euro