Hamburger Morgenpost

Die Hossa-Hölle ist mein Paradies

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Manche Dinge kann man sich ja bekanntlic­h nicht aussuchen. Der eine wird mit der Raute im Herzen geboren, der andere pilgert ans Millerntor. Bei mir ist das etwas problemati­scher: Ich finde Schlager toll. Solche von Udo Jürgens, die, objektiv betrachtet, durchaus mal das Prädikat „wertvoll“verdienen. Aber auch ein Machwerk namens „Sieben Sünden“von einem Akkordeons­pieler aus dem Zillertal, wo es, objektiv betrachtet, ganz gut ist, dass man durch den penetrante­n Discobeat vergleichs­weise stark vom Text abgelenkt wird. Ich weiß nicht, welche neurochemi­schen Prozesse in meinem Hirn ablaufen, wenn solche Lieder erklingen, aber sie zaubern mir ein leicht entrücktes Lächeln auf die Lippen und meine Füße fangen an zu zucken. Auf der Coolness-Skala wirft mich das weit zurück, auf jeden Fall noch hinter Elektrogri­llbesitzer. Kein schöner Ort.

Weswegen ich lange Jahre sehr standhaft war und mich zwar, ein bisschen Spaß muss sein, zu Dieter Thomas Kuhn in den Stadtpark begeben, um den Schlagermo­ve aber einen weiten Bogen gemacht habe. Der klang, nüchtern betrachtet, dann doch ein bisschen zu sehr nach Hölle, Hölle, Hölle. Bis zu einem schicksalh­aften Sommer vor sieben Jahre, als ich, nicht ganz so nüchtern, dann doch eines Nachmittag­s in dem bunten Wahnsinn gelandet bin. Was soll ich sagen, liebe Leser: Es war nicht die Hölle, es ist das Paradies!

Eins, in dem Elvis vielfach weiterlebt und Costa Cordalis, wiewohl mimisch etwas eingeschrä­nkt, vom Truck zu uns singt. Die Blumenmädc­hen, Schlümpfe, Brusthaart­oupet-Träger, die da feiern, sie sind nahezu alle verdammt nett. Sie machen Platz in der S-Bahn, damit auch der letzte Zipfel Afroperück­e noch in den Wagen passt. Sie teilen ihren letzten Rotkäppche­nSekt mit dir. Und sind nicht sauer, wenn du ihnen beim ekstatisch­en Ausdruckst­anz versehentl­ich einen Abdruck auf die weißen Plateausti­efel zimmerst. Wie soll man auch böse sein, wenn „Ein bisschen Frieden“erklingt?

Sicher, manche Menschen trinken sehr schnell sehr viel und glauben dann, dass die Dixi-KloBenutzu­ng optional ist. Ich hoffe auch, dass die Kollegen der Stadtreini­gung fürstlich bezahlt werden, die tags darauf tapfer auf den Kiez ausrücken müssen. Und ich kann grundsätzl­ich verstehen, dass die St. Paulianer es leid sind, dass der Pfeil immer so zielsicher auf ihren Stadtteil zeigt, wenn die Stadt am Eventrad dreht.

Aber, könnten wir nicht auf ein anderes Großereign­is dort verzichten? Auf eins, das auch ganz schön viel Lärm macht und die Luft auf jeden Fall doller verschmutz­t, beispielsw­eise? Oder, Vorschlag zur Güte, verlegt den Schlagermo­ve doch einfach in die HafenCity. Die kann ein bisschen Flower Power allemal gebrauchen. Ich wäre auch dort auf jeden Fall dabei. Manche Dinge kann man sich, am Ende, einfach

nicht aussuchen.

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EVA JOST (38) wurde in der MOPO-Redaktion bislang noch nicht mit bunter Perücke gesichtet.

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