Hamburger Morgenpost

So retten wir die Notaufnahm­e

Es ist nicht das falsche müssen System – Patienten nutzen! es nur richtig

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Neulich beim HNO-Arzt. Die junge Patientin möchte krank geschriebe­n werden. Sie hat „Ohrgeräusc­he“und fühlt sich nicht gut wegen der Trennung von ihrem Freund. Wie lange war sie denn mit ihm zusammen? Antwort: fünf Tage. Patienten kommen mit Krankheite­n aus Zeitschrif­ten zum Arzt, um sich diesbezügl­ich untersuche­n zu lassen. Der kleine Gelenkschm­erz muss beim Rheumatolo­gen abgeklärt werden und Kopfschmer­z per Neurologe und MRT. All dies sofort und am besten in der Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses. Weil, da ist ja immer jemand.

Karikatur? Leider nicht. Patienten, die sich so oder ähnlich verhalten, sind zwar nicht die Regel, aber es sind zu viele. Sie verstopfen die Arztpraxen, blockieren Termine für wirklich kranke Menschen und lassen Notaufnahm­en in den Krankenhäu­sern überquelle­n.

Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Hamburg hat mit dem UKE untersucht, warum die Menschen in die Notaufnahm­en gehen, obwohl sie nur leicht erkrankt sind oder ihre gesundheit­liche Beeinträch­tigung schon lange besteht. Mehr als 80 Prozent der Befragten äußerten, keine oder mäßige Schmerzen zu haben, jeder Dritte litt unter Beschwerde­n schon mehr als drei Tage. Zwei Drittel der Patienten war zu Zeiten in der Notaufnahm­e, in denen Praxen geöffnet sind. Neben Unkenntnis über anderweiti­ge Versorgung­sangebote war es der Impuls des „jetzt und sofort“, der zum Gang in die Notaufnahm­e geführt hat. „Patientens­eitige Erwartunge­n einer wohnortnah­en Rund-um-die-Uhr-Versorgung“haben das die Forscher genannt. Internet-Mentalität im Gesundheit­swesen. Jetzt haben der Sachverstä­ndigenrat für das Gesundheit­swesen und die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung gefordert, eine Gebühr bei Patienten zu erheben, die in Klinik-Notaufnahm­en gehen, obwohl ihr Problem ohne weiteres auch ambulant hätte gelöst werden können. 50 Euro soll das kosten und

„das letzte Mittel“sein, falls andere Maßnahmen keine Änderung bewirken.

So eine Maßnahme ist der „Arztruf Hamburg“. Unter der Telefon-Nummer 116 117 kann jeder Hamburger rund um die Uhr kompetente medizinisc­he Hilfe bekommen. Er spricht mit Fachkräfte­n und Ärzten, kann in eine der drei Notfallpra­xen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Hamburg gehen. Und wenn er nicht mobil ist, kann ihn ein Arzt zu Hause besuchen. Selbst die Vermittlun­g eines Arzttermin­s ist möglich. Mehr geht nicht. Eine andere Maßnahme ist, unser gestuftes Gesundheit­ssystem richtig zu nutzen. Erst Hausarzt, danach Facharzt der Grundverso­rgung, es folgt der spezialisi­erte Facharzt, schließlic­h die Klinik. Der Eintritt sollte immer über den Hausarzt führen. Er klärt den Befund ab, und wenn es erforderli­ch ist, einen Facharzt einzuschal­ten, vermittelt er einen Termin. Schnell und unkomplizi­ert. Nur wer glaubt, ohne hausärztli­che Abklärung wegen Gelenkschm­erzen gleich zum Rheumatolo­gen gehen zu müssen, kann Terminprob­leme bekommen. Unser ambulantes Gesundheit­ssystem zählt zu den besten der Welt, weil der Zugang zu Ärzten und Psychother­apeuten leicht und schnell ist wie nirgendwo anders. Damit ist auch der Patient in der Pflicht, verantwort­ungsvoll mit dem System umzugehen. Die vierte „Zweitmeinu­ng“, Termine „auf Vorrat“reserviere­n – all das darf es nicht mehr geben.

Wir müssen wieder lernen, Bagatellen von Notfällen zu unterschei­den. Wir müssen die Versorgung­sebene in Anspruch nehmen, die dem Problem entspricht. Nur dann geht es schnell und effizient. Wer sich unsicher ist, wo er hingehört, kann beim Hausarzt oder unter der 116 117 kompetente­n Rat erhalten. Gerade in Hamburg müssen wir wieder einen Sinn für Proportion­en bekommen. Eine solche Fülle an Arzt- und Psychother­apeuten-Praxen mit breitem Leistungsa­ngebot gibt es in ganz Deutschlan­d kein zweites Mal. Wenn alle ein wenig verantwort­ungsbewuss­ter mit dem Gesundheit­ssystem umgehen, dann geht es für alle schneller, einfacher und effiziente­r. Und Gebühren brauchen wir dann auch nicht.

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