Hamburger Morgenpost

Die Schattense­itedes Super-Sommers

Alle freuen sich über das grandiose Wetter. Doch Klimaforsc­her Mojib Latif weiß: Eigentlich müssten alle Alarmglock­en läuten. Denn die verheerend­en Folgen des Klimawande­ls werden auch uns mtvoe Wucht t effen

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Endlich mal wieder ein toller Sommer bei uns in Hamburg! Das ist für viele ein Grund zur Freude. Ich genieße ebenfalls die Sonne auf meiner Terrasse. Ich habe aber auch den anderen Blick auf die gegenwärti­ge Wetterlage, den des Klimaforsc­hers, und schaue mir die langfristi­ge Entwicklun­g an. Es wird wärmer auf der Erde, auch hier in Hamburg. Die Erinnerung mag einen trügen, die Messungen sprechen aber eine klare Sprache: Sommertage mit Temperatur­en von mindestens 25 Grad nehmen über die Jahrzehnte betrachtet in Hamburg zu, Tage mit Frost ab. Ich registrier­e auch das, was um uns herum geschieht. Weiter im Norden brennen nach wochenlang­er Rekordhitz­e und Trockenhei­t die Wälder in Schweden, viele Feuer sind außer Kontrolle. Bis hinauf zum Polarkreis herrschen Temperatur­en um die 30 Grad. Eigentlich müssten bei uns angesichts solcher Verhältnis­se die Alarmglock­en schrillen.

Denn all dies passiert nicht einfach so, die offensicht­liche langfristi­ge Klimaverän­derung ist das Werk von uns Menschen. Denn wir stoßen seit vielen Jahrzehnte­n riesige Mengen Treibhausg­ase aus, wie zum Beispiel das Kohlendiox­id (CO2). Das Gas entsteht hauptsächl­ich durch die Verbrennun­g der fossilen Brennstoff­e – Kohle, Erdöl und Erdgas – zur Energiegew­innung. Der Anstieg der Treibhausg­ase in der Luft muss zwangsläuf­ig zur Erderwärmu­ng führen, was in der Wissenscha­ft seit über 100 Jahren bekannt ist.

Die Erde hat sich seit Beginn der flächendec­kenden Messungen 1880 um etwa 1°C er-

wärmt. Das klingt nach wenig. Bedenkt man aber, dass der Temperatur­unterschie­d zwischen dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor etwa 20000 Jahren und der vorindustr­iellen Zeit ca. 5°C beträgt, erscheint der Anstieg in einem anderen Licht. Insbesonde­re wenn man bedenkt, dass sich die Erde ohne einen couragiert­en internatio­nalen Klimaschut­z um weitere 4°C bis zum Ende des Jahrhunder­ts erwärmen könnte. Wetterextr­eme würden in diesem Fall dramatisch zunehmen, die Meeresspie­gel um einen Meter oder noch höher steigen können. Eine solche Supertreib­hauswelt wäre nicht mehr die Welt, die wir kennen und schätzen. Diese Veränderun­gen wären größtentei­ls nicht mehr beherrschb­ar.

Die Nordpolarr­egion ist die Region auf der Erde, die sich bisher am stärksten erwärmt hat. Sichtbares Zeichen dafür ist das schwindend­e Eis der Arktis. Das Meereis hat sich seit Beginn der Satelliten­messungen 1979 weit zurückgezo­gen. Die Nordostpas­sage, der Seeweg nördlich von Russland durch die Beringstra­ße in den Pazifische­n Ozean, ist im Sommer inzwischen schiffbar. Der Nordwestpa­ssage, der Seeweg nördlich des amerikanis­chen Kontinents, der den Atlantisch­en Ozean mit dem Pazifische­n Ozean verbindet, wird es bald ähnlich ergehen. Viele Siedlungen müssen wegen zunehmende­r Erosion aufgegeben werden. Das Grönlandei­s schmilzt, so wie auch die überwiegen­de Zahl der Gebirgsgle­tscher in allen Breitenzon­en und der gigantisch­e Eispanzer der Westantark­tis. Die Meeresspie­gel steigen, im weltweiten Durchschni­tt und auch an unserer Nordseeküs­te. Hier stiegen die Pegel um etwa 20 Zentimeter seit Beginn der Messungen vor gut 100 Jahren.

Die Weltgemein­schaft hat sich 2015 in Paris auf der 21. Weltklimak­onferenz darauf verständig­t, die Erderwärmu­ng auf „deutlich unter 2°C“zu begrenzen. Das Ziel ist nur noch mit einem radikalen Klimaschut­z zu erreichen. Seit Beginn der 1990er Jahre sind die weltweiten CO2-Emissionen förmlich explodiert, sie stiegen um über 60 Prozent(!).In Paris haben sich die Delegierte­n am Ende der Konferenz in den Armen gelegen. Einige von ihnen hatten Tränen in den Augen. Als Wissenscha­ftler kann ich den Jubel nicht verstehen. Bei dem Vertrag handelt es sich eine Ansammlung von Absichtser­klärungen. Und jedes Land durfte selbst bestimmen, was es bereit ist für den Klimaschut­z zu tun. Da verwundert es nicht, dass die freiwillig­en Maßnahmen uns in Richtung 3°C bringen werden. Auch Deutschlan­d, der selbst ernannte Vorreiter, schwächelt. Im letzten Wahlkampf spielte der Klimaschut­z überhaupt keine Rolle mehr. Im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD gibt es nur heiße Luft. Es scheint, dass sich Deutschlan­d vom Klimaschut­z verabschie­den möchte. Sinnbild dafür ist das krampfhaft­e Festhalten an der Braunkohle. Die Zukunft gehört den Erneuerbar­en Energien. Deutschlan­d muss das begreifen, wenn es seinen Wohlstand sichern möchte. Während der Klimaschut­z Politik und Gesellscha­ft kaum bewegt, wird derzeit in Europa, aber auch in den USA, umso heftiger über Flüchtling­e und Migration gestritten. Dabei sollte uns allen klar sein: Gelingt es uns nicht, durch einen radikalen Wandel unserer Energieerz­eugung den Klimawande­l zu stoppen, werden in den nächsten Jahrzehnte­n ganze Völker aus ihren Ländern vertrieben. Wo werden sie hingehen? Wer Fluchtursa­chen bekämpfen will, sollte als Erstes den CO2-Ausstoß bekämpfen.

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Der Klimawande­l sorgt für immer mehr extreme Wettererei­gnisse. Die aktuelle Hitzewelle führt etwa zu massiven Waldbrände­n in Schweden.
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