Ich bin die Frau für Recht und Gesetz
Warum Stephanie Lamprecht nach Tausenden Prozessen ein großer Fan unseres Rechtsstaats ist
Neulich auf einer Küchenparty. „Und? Was machst du so?“, fragt mich eine Frau. Ich: „Ich bin Gerichtsreporterin bei der MOPO.“Sie: „Oh, wie spannend! Da erlebst du ja bestimmt interessante Geschichten!“Und dann: „Immer Mord und Totschlag, ist das nicht furchtbar belastend?“Das ist die typische Reaktion. Und dann erkläre ich, warum ich den Job so liebe – und warum es nicht die spektakulären Morde sind, die mich auch nach Feierabend noch beschäftigen.
Terrorhelfer, Piraten, Schläger und Zuhälter, Ronald Schill, Silvester-Mob und G20-Flaschenwerfer – laut MOPO-Archiv habe ich in den vergangenen 18 Jahren mehr als 2000 Artikel über Prozesse geschrieben. Ich bin keine Juristin, was insofern gut ist, als ich gezwungen bin, so lange nach den juristischen Feinheiten zu fragen, bis ich sie kapiert habe – und sie so aufschreiben kann, dass andere Jura-Laien es verstehen. Etwa was es bedeutet, wenn ein Angeklagter den „21 hat“. Das heißt, er ist vermindert schuldfähig – wie es im Paragraf 21 Strafgesetzbuch steht.
Ich habe berührende Momente in Gerichtssälen erlebt. Zum ersten Mal kamen mir die Tränen, als Hinterbliebene der 11.-SeptemberFlugzeuginsassen ihren Schmerz schilderten. Dieses ferne Jahrhundertverbrechen wurde in einem Hamburger Gerichtssaal auf die Trauer von Brüdern, Ehefrauen, Töchtern heruntergebrochen. Jahre später rang ich um Fassung, als der Gerichtsmediziner die Obduktionsbilder der von ihrer Mutter zu Tode misshandelten Yagmur erläuterte. Ich erinnere mich an den Vater, gutbürgerlich, Programmierer, der seine beiden Söhne getötet hat, um seine Frau für die Trennung zu bestrafen. Sie telefonierte im Nebenzimmer, während er den Kindern die Kehle durchschnitt.
Ich staunte über Prostituierte, die auf den Treppen des Gerichtsgebäudes für ihre angeklagten Zuhälter demonstrierten, und wunderte mich über die Dreistigkeit des Reemtsma-Entführers Thomas Drach: Dieses selbst ernannte Superhirn erklärte, dass er die verschollenen Lösegeld-Millionen als seinen rechtmäßigen Lohn für mehr als 15 Jahre Haft betrachte.
Was mich aber besonders bewegt, sind Verkehrsdelikte, oft kleine Prozesse vor dem Amtsgericht. Denn: Das sind die Fälle, die jeden von uns zum Opfer machen können – aber auch zum Täter. Der Mann, der an der Elbchaussee parkte, die Tür unachtsam öffnete – und ein Motorradfahrer knallte dagegen. Der Autofahrer wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Keiner kann sagen, dass ihm das nie passieren könnte.
Die meisten Fälle, über die ich berichte, stammen von der „Presseliste“, die die Staatsanwaltschaft jeden Freitag an die Medien verschickt, mit einer Auswahl an Prozessen. Es gibt viele Verteidiger, die die Liste kritisieren, weil wir Journalisten damit natürlich auch zu Verfahren gelotst werden, von denen wir sonst gar nichts mitbekommen hätten – was die Angeklagten in der Regel bevorzugen würden.
Dabei wurde das Prinzip der öffentlichen Hauptverhandlung einst zum Schutz der Angeklagten eingeführt: Jeder soll bei Strafprozessen zugucken dürfen und kontrollieren, dass Richter keine willkürlichen Urteile fällen.
Jeder kann ins Strafjustizgebäude am Sievekingplatz