Hamburger Morgenpost

Willkommen, Wolf!

Unser Autor findet: Es ist Zeit, mit den Vorurteile­n und Ängsten Schluss zu machen. Die Raubtiere gehören zu Deutschlan­d wie Rehe, Füchse und Wildschwei­ne

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Sie waren mal eines der am weitesten verbreitet­en Säugetiere der Erde. Sie lebten auf fast der gesamten Nordhalbku­gel. Bis ihnen der Mensch in vielen Regionen den Garaus gemacht hat. Wie zum Beispiel in Deutschlan­d. Hier wurden die Letzten ihrer Art um 1850 in Brandenbur­g erschossen.

Jetzt sind sie wieder da. Seit Wölfe 1990 in Deutschlan­d unter Schutz gestellt wurden, haben sie sich ihren früheren Lebensraum zurückerob­ert. Heute leben wieder ein paar Dutzend Rudel hier. Willkommen, Wolf !

Die Liste der ewigen Vorurteile, wegen der diese Tiere in Deutschlan­d schon einmal ausgerotte­t wurden, ist noch immer lang. Dass der Wolf als böse gilt, weiß jedes Kind – nicht erst, seit Rotkäppche­n beim Besuch der Großmutter schlechte Erfahrunge­n mit ihm gemacht hat. Oder sich die sieben Geißlein im Uhrenkaste­n verstecken mussten. Oder Isegrim, wie er in Märchen oft genannt wird, das arme Rehkitz mit der gemeinen Begründung fraß, dass es ihm sein Trinkwasse­r trübe – obwohl es doch flussabwär­ts getrunken hatte.

Die meisten Menschen haben von den Neuankömml­ingen in Deutschlan­d bisher kaum etwas bemerkt. Geschweige denn, dass sie ihnen begegnet sind – obwohl die Wölfe schon viele Jahre hier sind. Denn die Tiere sind scheu, meistens nachts unterwegs. Sie meiden normalerwe­ise die Nähe von Menschen.

Trotzdem gibt es weit verbreitet­e Ängste. Dabei ist das vom Wolf ausgehende Gefahrenpo­tenzial gering. In den Jahren, in denen Wölfe dauerhaft in Deutschlan­ds freier Natur leben, sind keine gefährlich­en Situatione­n entstanden. Kein einziger Angriff eines Wolfes auf einen Menschen ist dokumentie­rt.

Was man von Wildschwei­nen (zählen zu den Lieblingsb­eutetieren der Wölfe) zum Beispiel nicht sagen kann. Die leben millionenf­ach in Deutschlan­d, es gibt hin und wieder Attacken mit tödlichem Ausgang für Mensch und/oder Tier. Dennoch kommt niemand auf die Idee, Wildschwei­ne in Deutschlan­d auszurotte­n.

Dass Wölfe nicht in unsere Kulturland­schaft passen, ist Unsinn. Schließlic­h wurden sie hier nicht ausgesetzt, sondern kommen freiwillig. Und sie vermehren sich bei uns sogar. Wölfe sind äußert anpassungs­fähig und ein natürliche­s Element im europäisch­en Ökosystem. So wie Wildschwei­ne, Rehe, Füchse. Wölfe leben schon lange in den Kulturland­schaften Polens, Spaniens, Italiens, Griechenla­nds, auf dem Balkan, in den skandinavi­schen Ländern sowieso – und das funktionie­rt bestens. Geschätzte 15 000 bis 20 000 sind es in ganz Europa. Deutschlan­d als Verbindung­sland zwischen den Wolfpopula­tionen in Ost und West, Nord und Süd kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Der Wolf erbeutet in Deutschlan­d überwiegen­d Rehe, Rothirsche, Wildschwei­ne und Hasen – vor allem junge, alte und kranke Tiere. Weniger als ein Prozent seiner Beute sind laut Naturschut­zbund NABU Nutztiere wie zum Beispiel Schafe. Laut Bundesamt für Naturschut­z wurden im Jahr 2015 von den Bundesländ­ern mit Wolfsvorko­mmen zusammen 107 783 Euro an Ausgleichs­zahlungen für Schadensfä­lle geleistet, bei denen ein Wolf als Verursache­r nachgewies­en oder nicht ganz ausgeschlo­ssen werden konnte. Der Schaden für Nutztierha­lter ist also offenbar gering.

Dennoch müssen etwa die Sorgen der Schäfer ernst genommen werden. Hier hilft Aufklärung: Wie lassen sich die Herden am besten schützen? Was schreckt Wölfe ab? Hundertpro­zentigen Schutz gibt es natürlich nicht. Wenn alles nichts geholfen hat, bekommt der Tierhalter Schadeners­atz.

Selbst Befürchtun­gen der Jäger, dass ihnen die Wölfe bei der Jagd Konkurrenz machen, sind unbegründe­t: Wissenscha­ftliche Belege für nachhaltig negative Auswirkung­en auf die Bestände der jagdbaren Beutetiere gibt es nicht. So wurden etwa, seit sich das erste Wolfsrudel in der Lausitz niedergela­ssen hat, die Jagdstreck­en (jagdliche Abschussza­hlen) der betroffene­n Region durch das sächsische Wolfsmanag­ement dokumentie­rt. Ergebnis: Bislang ist dort kein signifikan­ter Rückgang der Abschussza­hlen zu verzeichne­n. Die Erfahrunge­n zeigen zudem, dass sich die jährlichen Schwankung­en der Abschussza­hlen zwischen Gebieten innerhalb und außerhalb des Wolfvorkom­mens nicht unterschei­den.

Dass Wölfe überhandne­hmen – die Gefahr besteht nicht. Ihre Zahl hängt zum einen von der Zahl der Beutetiere ab und zum anderen von den vorhandene­n Revieren. Ist eines besetzt, ist für neu ankommende Wölfe kein Platz mehr. Der Raum ist also begrenzt, die Population­sdichte bleibt gering. Wissenscha­ftler gehen zudem davon aus, dass viele Gegenden für Wölfe ohnehin als Revier nicht in Betracht kommen – zu viele Straßen, zu viel Verkehr. Eine flächendec­kende Besiedlung wird es also nicht geben.

Die meisten Deutschen wollen, dass der Wolf bleibt. Bei einer Forsa-Umfrage für den NABU äußerten sich 80 Prozent positiv über die Rückkehr des Raubtiers. Sie wollen, dass es den Wölfen nicht so geht wie Bruno im Jahr 2006. Das war der erste wilde Bär, der seit der Ausrottung dieser Art 1835 den Weg nach Deutschlan­d fand. Kaum hatte Bruno die Grenze überquert, wurde er zum „Problembär­en“erklärt – und ohne Gnade abgeschoss­en. Obwohl Bären in Märchen meist ganz lieb sind. Im Gegensatz zum bösen Wolf.

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In Schnelsen riss ein Wolf ein Schaf. Foto oben: einer der dänischen Jungwölfe in Schleswig-Holstein
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Hackordnun­g: In Wolfsrudel­n gibt es eine klare Hierarchie. Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Ham urg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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