Hamburger Morgenpost

Mythos Sylt

Vor 160 Jahren noch eine arme Fischerins­el, heute der Treffpunkt der Reichen und Schönen

- Von OLAF WUNDER und RIKE SCHULZ

Wie eine einstmals arme Fischerins­el zum sündhaft teuren Sandkasten für Deutschlan­ds Jetset wurde

Mit Sylt ist das schon seltsam. Diese Insel unterschei­det sich von jeder anderen: Kennen Sie die Umrisse von Norderney? Oder könnten Sie Rügen mal eben so hinmalen? Vermutlich nicht. Sylt schon. Denn die Insel selbst ist das Logo. Die Wirklichke­it ist zum Markenzeic­hen geworden, millionenf­ach verewigt auf Autohecks und Badetücher­n und als Magnet auf jedem zweiten Kühlschran­k.

Wer dieses Logo sieht, der hat sofort Bilder vor Augen. Der eine denkt an endlose leere Strände mit einem Himmel so blau wie in einem Nolde-Gemälde. Der andere an PromiAlarm, an Austern, Champagner und Kaviar. An Playboy Gunter Sachs und Ehefrau Brigitte Bardot, mit denen der ganze Remmidemmi vor einem halben Jahrhunder­t angefangen hat. Der Mythos Sylt.

Kampen, das Saint-Tropez des Nordens. Da, wo der Jetset absteigt, wo jemand, der bloß Golf fährt, sich kaum zu parken traut, weil vor den NobelSchup­pen die Maybachs, die Porsches, die Ferraris und Lamborghin­is abgestellt sind. Wer reich ist und das jeden wissen lassen will, der kauft sich hier eine Immobilie. Eigentlich nicht zum Bewohnen. Nur zum Haben.

Im Hoboken-Weg beispielsw­eise, der teuersten Straße der Nation, wo ein Quadratmet­er 35 000 Euro und mehr kostet, stehen die Reetdachhä­user elf von zwölf Monaten leer. Den Eigentümer­n ist das egal. Wichtig ist ihnen nur, dass sie jederzeit kommen können, wenn ihnen nach Schampus im Strandkorb ist.

Eine gute Geldanlage sind die Häuser auch. Denn Sylt wird teurer und teurer. Nirgendwo in der Bundesrepu­blik werden Immobilien­preise gezahlt wie hier. Zwar lieben die Sylter ihre Insel, aber wenn jemand ihnen eine Million für eine alte Kate bietet, dann werden auch sie schwach, ist doch klar. So kommt es, dass inzwischen allein in Kampen zwei Drittel aller Häuser Ferienvill­en sind.

Einheimisc­he können sich die Insel kaum noch leisten: Die echten Sylter wohnen längst auf dem Festland, wo die Mieten gerade noch bezahlbar sind. Morgens kommen sie mit der Bahn zum Arbeiten auf die Insel – und sind als Gärtner, Klempner oder Hausmeiste­r für die reichen Zweitwohnu­ngsbesitze­r in genau den Dörfern tätig, die früher ihre Heimat waren. Oder sie bedienen die Fremden als Kellner im Restaurant.

150 000 Menschen werden in der Hauptsaiso­n auf Sylt gezählt. Als Einwohner gemeldet sind bloß 20 000. Und davon leben wohl nur zwei Drittel tatsächlic­h auf der Insel. Sylt stirbt aus, und weil das so ist, gibt es kaum noch Schulen. Und die Feuerwehre­n finden längst keine Freiwillig­en mehr, was Folgen für den Brandschut­z hat.

Was aus dieser Insel mal werden wird, das konnte niemand ahnen, als 1855, also vor gut 160 Jahren, der Tourismus begann und Westerland zum ersten Seebad Sylts wurde. Zum ersten Mal kam ein bisschen Wohlstand auf die Insel, deren Be-

Wer einen Golf hat, traut sich in Kampen kaum zu parken, weil vor den Nobelschup­pen nur Maybachs, Porsches und Ferraris stehen.

wohner jahrhunder­telang mehr schlecht als recht von Wal- und Fischfang, Schifffahr­t, Austernzuc­ht und Landwirtsc­haft gelebt hatten. In der Saison 1911 überflügel­te das Seebad Westerland die bisherigen Modebäder Wyk auf Föhr und Büsum. Die Gäste reisten per Postschiff von Tondern an oder kamen mit Schnelldam­pfern von Hamburg und Helgoland.

Nach dem Ersten Welt- krieg mussten sich die Sylter entscheide­n, zu welchem Land sie gehören wollten. 88 Prozent stimmten für Deutschlan­d. Weil gleichzeit­ig der damalige Hauptverbi­ndungshafe­n Hoyer dänisch wurde, was die Anreise verkompliz­ierte, musste ein neuer Verbindung­sweg geschaffen werden: Der elf Kilometer lange und 1927 eingeweiht­e Hindenburg­damm wurde regelrecht zum Motor des Sylt Tourismus.

Emil Nolde, Hermann Hesse, Marlene Dietrich, Stefan Zweig – vier von unzähligen Schriftste­llern und Schauspiel­ern der 20er Jahre, die sich von Sylt regelrecht magisch angezogen fühlten. Max Schmeling und Hans Albers waren auch da. Tanzdiva Gret Palucca tanzte nackt in den Dünen. Und Thomas Mann notierte 1928 in das Gästebuch der berühmten Künstlerpe­nsion „Kliffende“in

„An diesem erschütMee­re habe ich tief geamen die Nazis und der nd Sylt fiel zunächst in ornröschen­schlaf – bis hmenserbe Gunter die Insel in den 60er Jahachküss­te. Mit Ehefrau gitte Bardot und anden Promis sonnte sich er millionens­chwere Playboy tagsüber am legendären Strandabsc­hnitt Buhne 16 bei Kampen, und nachts ließ er mit seinen Freunden die Sau raus, etwa im Pony Club, der Nobel-Diskothek am Kampener Strönwai, einer Straße, die bei den meisten besser bekannt ist als „Whiskyeile“.

Neben Sachs gehörten den berühmten Syltisten jener Tage auch s-Gigant Axel Springer,

der deutsch-österreich­ische Milliardär Friedrich Karl Flick, die Schauspiel­er Heinz Rühmann und Curd Jürgens, die persische Ex-Kaiserin Soraya. Als dann in den 70er Jahren Beate Uhse und Oswalt Kolle dazustieße­n, wurde Sylt zum Mekka des FKK.

Mit den Promis kam das Geld. Die Nachfrage nach Übernachtu­ngsmöglich­keiten wuchs gigantisch. Einheimisc­he räumten ihre Wohnungen, schliefen selbst im Stall, um ihre Häuser an Feriengäst­e vermieten zu können. Die Kasse klingelte. Und es bewahrheit­ete sich die alte Weisheit: Geld verdirbt den Charakter. Begeistert von der Insel wollten immer mehr Fremde Wohnungen und Häuser nicht nur mieten, sondern kaufen. Preise explodiert­en. Und so begann der Ausverkauf der Insel, der bis heute anhält.

An Anziehungs­kraft hat Sylt nicht verloren. Es sind aber nicht die Wichtigtue­r, es ist die einzigarti­ge Natur, die den wahren Mythos Sylts ausmacht. Dazu zählen zwölf Naturschut­z- und sieben Landschaft­sschutzgeb­iete und 40 Kilometer herrlichst­er Sandstrand. Platz ist für alle da: sowohl für die Promis und Angeber, für die Hoboken-Weg-Bewohner und Ferrari-Fahrer. Als auch für die, die ihre Ruhe wollen und denen die Stars und Sternchen am A... vorbeigehe­n.

 ??  ?? Marlene Dietrich (o. l.) machte ebenso Urlaub auf der Insel wie Hans Albers, Max Schmeling (o. r.), das Ehepaar Kolle (u. l.) und Gunter Sachs (u. r.)
Marlene Dietrich (o. l.) machte ebenso Urlaub auf der Insel wie Hans Albers, Max Schmeling (o. r.), das Ehepaar Kolle (u. l.) und Gunter Sachs (u. r.)
 ??  ?? Vor 100 Jahren gingen Damen und Herren noch getrennt baden. Und züchtige hochgeschl­ossene Bademode war selbstvers­tändlich. Spaß hatten diese Badenixen aber trotzdem. Ein Bild aus dem Jahr 1935: Damen vergnügen sich in Westerland auf Sylt bei morgendlic­her Strandgymn­astik.
Vor 100 Jahren gingen Damen und Herren noch getrennt baden. Und züchtige hochgeschl­ossene Bademode war selbstvers­tändlich. Spaß hatten diese Badenixen aber trotzdem. Ein Bild aus dem Jahr 1935: Damen vergnügen sich in Westerland auf Sylt bei morgendlic­her Strandgymn­astik.
 ??  ?? In den 60er Jahren ging es im Umfeld des berühmten Pony Club in Kampen heiß her. Der Jetset genoss das Leben. Ehrengast bei der Einweihung des Hindenburg­damms ist 1927 auch Namensgebe­r Reichspräs­ident Paul von Hindenburg. Sein Sonderzug hält kurz in Morsum. Die kleine Karin Lauritzen überreicht ihm ein Blumengebi­nde. Playboy Gunter Sachs war es, der Sylt in den 60er Jahren zum Tref punkt der Schönen und Reichen machte. Machten 1927 Urlaub in der berühmten Künstlerpe­nsion „Klif ende“in Kampen: der Schrif steller Thomas Mann, seine Frau Katia und die Kinder Elisabeth und Michael
In den 60er Jahren ging es im Umfeld des berühmten Pony Club in Kampen heiß her. Der Jetset genoss das Leben. Ehrengast bei der Einweihung des Hindenburg­damms ist 1927 auch Namensgebe­r Reichspräs­ident Paul von Hindenburg. Sein Sonderzug hält kurz in Morsum. Die kleine Karin Lauritzen überreicht ihm ein Blumengebi­nde. Playboy Gunter Sachs war es, der Sylt in den 60er Jahren zum Tref punkt der Schönen und Reichen machte. Machten 1927 Urlaub in der berühmten Künstlerpe­nsion „Klif ende“in Kampen: der Schrif steller Thomas Mann, seine Frau Katia und die Kinder Elisabeth und Michael
 ??  ?? Sex-Papst Oswalt Kolle und seine Frau: Die beiden trugen entscheide­nd dazu bei, dass in den 70er Jahren aus Sylt das Paradies der Nudisten wurde.
Sex-Papst Oswalt Kolle und seine Frau: Die beiden trugen entscheide­nd dazu bei, dass in den 70er Jahren aus Sylt das Paradies der Nudisten wurde.
 ??  ?? 35 000 Euro kostet in Deutschlan­ds teuerster Straße der Quadratmet­er. Die Reetdachhä­user der Reichen und Mächtigen stehen meist elf von zwölf Monaten leer. Of sind Gärtner und Klempner die Einzigen, die den Hoboken-Weg bevölkern.
35 000 Euro kostet in Deutschlan­ds teuerster Straße der Quadratmet­er. Die Reetdachhä­user der Reichen und Mächtigen stehen meist elf von zwölf Monaten leer. Of sind Gärtner und Klempner die Einzigen, die den Hoboken-Weg bevölkern.

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