Hamburger Morgenpost

Macht die Innenstadt autofrei!

Hamburg könnte in Deutschlan­d eine Pionierrol­le einnehmen und die Zukunft einleiten, findet der gebürtige Däne Jørn S. Jørgensen

- Aufgezeich­net von Kristian Meyer

Als gelernter Mediziner sage ich immer: Mit dem Autofahren in der Innenstadt ist es wie mit dem Rauchen. Früher oder später müssen Sie ohnehin aufhören. Oder mit den Folgen leben. Ich glaube: Die Innenstadt mit weniger Autos wird sowieso kommen. Jetzt aber ist noch Zeit, diesen Wandel zu gestalten. Ausländisc­he Metropolen wie Kopenhagen haben es vorgemacht. Und Hamburg? Könnte in Deutschlan­d eine Pionierrol­le einnehmen und die Zukunft einleiten!

Bei den „EuroEyes Cyclassics“an diesem Wochenende sind ja viele Straßen gesperrt. Das nervt sicher so manchen Autofahrer. Was aus heutiger Perspektiv­e verständli­ch ist. Aber wenn Sie mit Ihrem Rad über den freien Asphalt rollen, keine direkten Abgase schlucken, keinen Rechtsabbi­egern ausweichen müssen, einfach so durch die City fahren können, denken Sie dann nicht auch: Das ist doch herrlich! So geht es mir zumindest.

Und da müssen wir ansetzen, wenn wir über die Stadt der Zukunft nachdenken, die deutlich weniger Autos haben wird. Das Positive herausstre­ichen! Noch ist der Gedanke vielen fremd. Und an Neues müssen sich die Menschen erst gewöhnen, sie haben Ängste und Bedenken. Manchmal zu Recht, aber in dem Fall wäre die Skepsis sicher leicht zu nehmen.

Ich sehe eine lebenswert­e grüne, nicht smogverseu­chte Stadt, von der alle profitiere­n, in der alle lieber leben, wenn ich an die autofreie Stadt denke.

Der Einzelhand­el etwa hat ja immer etwas Angst. Fürchtet, dass die Kunden ausbleiben. Als gebürtiger Däne führe ich immer gerne Kopenhagen an. Das Beispiel zeigt: Das Gegenteil ist der Fall! Die Geschäfte dort haben von der Umstruktur­ierung profitiert. Und hört man sich bei der Bevölkerun­g um, dann sind alle zufrieden damit, wie es jetzt ist. Allerdings: Wie eingangs erwähnt, so ein Wandel muss gestaltet werden!

Thema Mobilität und Infrastruk­tur: In Kopenhagen gab es eine allgemeine Ausschreib­ung für kreative Ideen. Elektrobus­se, E-Bike-Taxis, mehr Fahrradweg­e, vielleicht ganz andere

Wege – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich bin sicher, dass es unter den Hamburgern genügend findige Köpfe mit großartige­n Ideen gibt, wie Mobilität trotz fehlender Autos gelingen kann.

In meiner Vision geht es auch um keine vollkommen autofreie Stadt. Lieferante­n & Co. dürften natürlich noch Waren bringen. Vielleicht dürften auch Anwohner noch reinfahren. Aber die großen Stauströme von heute, die verpestete Luft, der Lärm – all das würde der Vergangenh­eit angehören. Nicht umsonst dürfen schon jetzt Dieselfahr­zeuge in Teilen der Stadt nicht mehr fahren. Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich. Man könnte in der Innenstadt um Jungfernst­ieg und Gänsemarkt damit anfangen und das dann peu à peu ausweiten.

Und das alles (Stichwort: Gestalten!) müsste natürlich einhergehe­n mit einer Verschöner­ung des Stadtbilde­s dort. Was auch wieder dem Einzelhand­el helfen würde. Nehmen Sie den Neuen Wall. Komplizier­t hinzukomme­n mit dem Auto, keine Parkplätze und – nicht wirklich schön. Einkaufen hat eben auch mit Emotionen zu tun. Ich sehe für die Zukunft dort mehr Grün, Straßencaf­és, fröhliche, nicht so gehetzte Menschen. Die sich dann dort auch deutlich lieber aufhalten würden. Und einkaufen. Aber eben nicht nur.

Als Mediziner will ich auch die positiven Effekte auf die Gesundheit nicht verhehlen: Die Menschen würden sich mehr bewegen, weniger Feinstaub und Abgase einatmen, wären weniger gestresst. Und für eventuelle Schwierigk­eiten wie den Transport der Einkäufe ließen sich auch Lösungen finden. Vielleicht mehr Lieferserv­ices nach Hause, vielleicht mehr ELastenräd­er. Ohnehin ein Mobilitäts-Wirtschaft­szweig, der immer mehr im Kommen ist!

Ich finde: Hamburg könnte, nein, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Und nach Metropolen wie Kopenhagen, Oslo oder Madrid als erste deutsche Stadt die autofreie Stadt vorantreib­en. Das mag wie Zukunftsmu­sik klingen, ist aber vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt.

Als Mediziner will ich auch die positiven Effekte auf die Gesundheit nicht verhehlen. Jørn S. Jørgensen

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