Hamburger Morgenpost

„Wir Journalist­en haben die Gangster hofiert“

Reporter Udo Röbel setzte sich zu den Geiselnehm­ern ins Auto und empfindet das heute als schlimmen Fehler

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Gladbeck – Udo Röbel ist eine der kontrovers­en Figuren des Gladbecker Geiseldram­as. Als Journalist setzte er sich in den Gangsterwa­gen, direkt neben die wenig später erschossen­e Silke Bischoff. Heute spricht er offen über die Fehler – und die Lehren daraus.

Herr Röbel, hatten Sie nach dem Drama von Gladbeck Albträume? Uwe Röbel: Nein. Von Gladbeck habe ich nie geträumt. Dafür musste ich die Erfahrung machen, wie das ist, wenn man plötzlich selbst durch die Medienmang­el gedreht wird – sogar von Kollegen. Auch heute noch ist es schmerzlic­h für mich, von manchen in die Schablone des „Reporters des Satans“gepresst zu werden.

Können Sie die Kritik verstehen?

Natürlich. Gladbeck war ein Verbrechen, bei dem innerhalb von drei Tagen enorm viel schiefgega­ngen ist. Man tat gut daran, das danach aufzukläre­n. Wie die Polizei haben auch die Medien eine zweifelhaf­te Rolle gespielt. Und ich war mittendrin.

Wie erlebten Sie den Beginn des Geiseldram­as in der Kölner City?

Zunächst: fast nur durch Zufall. Normalerwe­ise hätte ich wie mein Chefredakt­eur auch das ganze Drama in der Kölner Fußgängerz­one wahrschein­lich aus sicherer Entfernung, von der BüroTerras­se unseres Verlegers aus, beobachtet, wenn ich an diesem Morgen nicht so früh in der Redaktion gewesen wäre.

Wie ging es weiter?

Reporter waren noch nicht da. Handys gab es noch keine. Aber ich war ja früher auch Polizeirep­orter. Also bin ich selbst runter. Und tatsächlic­h: Keine 40 Meter vom Vordereing­ang entfernt standen sie. Alles ganz friedlich. Von Polizei weit und breit nichts zu sehen. Die Sonne lachte vom Himmel, und die wenigen Passanten, die um diese Uhrzeit unterwegs waren, bemerkten es noch gar nicht, dass sie da gerade an den Geiselgang­stern vorbeischl­enderten. Es war skurril.

Was machten Sie dann?

Ich bin dann ganz langsam an den BMW getreten, habe mich vorgestell­t, Rösner meine Visitenkar­te gegeben und ihn gefragt, ob man mit ihm reden könne. Zu meiner Verblüffun­g hatte der überhaupt nichts dagegen. Dem schien sogar zu gefallen, interviewt zu werden.

Und was fragt man einen Geiselgang­ster in solch einer Situation?

Im Nachhinein betrachtet viel Schwachsin­niges. Wie es geht, was man jetzt vorhat und auch, ob man vielleicht etwas tun kann. Uns Journalist­en wurde später zu Recht vorgeworfe­n, dass wir die Gangster regelrecht hofiert hätten. Für die Geisel muss es furchtbar gewesen sein, das mit anzuhören. Das war ja alles bizarr. Genauso bizarr, wie sich heute die Wortlautpr­otokolle der Gespräche lesen, die der Verhandlun­gsführer der Polizei mit Rösner geführt hat. Haben Sie im Nachhinein gedacht, man hätte mit den Gangstern über anderes reden müssen?

Mit einem zu allem entschloss­enen Gewaltverb­recher, der ständig mit seiner Pistole herumfucht­elt, über Moral und Ethik seines Handelns zu sprechen, ging auch nicht. Schon bei der leisesten Frage, ob es denn nicht besser wäre, jetzt endlich aufzugeben, bevor noch Schlimmere­s passiert, tickte Rösner aus. Da hält man dann lieber den Mund.

Sie wurden dann selbst Akteur.

Ja. Irgendwann erwachte in dem Reporter Röbel auch wieder der Mensch Röbel, der die Todesangst im Gesicht von Silke Bischoff sah. Von da an überlegte ich nur noch, wie man sie und ihre Freundin Ines Voitle aus dieser unerträgli­chen Situation erlösen könnte. Mehr als einmal habe ich sogar daran gedacht, mir einfach die Waffe zu schnappen, die keine 30 Zentimeter vor mir auf dem Schoß von Rösner lag. Warum sind denn keine Polizis-

ten hier, die das tun könnten, fragte ich mich immer wieder. Erst hinterher habe ich erfahren, dass sich unter die Journalist­en auch SEK-Leute gemischt hatten.

Hatten Sie denn keine Angst, dass Sie jetzt selbst zur Geisel werden?

Komischerw­eise nicht. Rösner wollte von mir zwar noch zur nächsten Autobahnta­nkstelle gelotst werden, hatte mir aber versproche­n, mich dort rauszulass­en. Für mich war das eine Art Ganoven-Ehrenwort. Und daran hat er sich ja dann auch gehalten.

Was geschah auf der Fahrt?

Kaum noch etwas. Ich saß wie in einem Film auf der Rückbank neben Silke Bischoff, hörte meinen Namen in den Radionachr­ichten und versuchte herauszufi­nden, was die Gangster jetzt vorhatten. Als ich Rösner aber direkt fragte, wohin sie denn jetzt fahren wollten, zischte mich Degowski an: „Halt’s Maul, du Affe!“Da war mir klar, dass ich jetzt wohl besser nichts mehr frage.

An der Raststätte Siegburg hat Sie Rösner dann rausgelass­en …

Ja. Er tankte den BMW auf, begleitete die Geiseln zur Toilette, gab mir die Hand, bevor er sich wieder ans Steuer setzte. „Jo, dann“, sagte er zu mir. „Dann noch alles Gute, ne!“Wenig später stoppte dann das erste SEK-Auto mit der Einsatzlei­tung an der Tankstelle. Die fragten mich kurz, ob sich an der Sitzordnun­g im Geiselauto etwas geändert habe, und nahmen sofort wieder die Verfolgung auf.

Braucht es 30 Jahre nach Gladbeck eine neue Debatte über den Umgang mit Bildern von Katastroph­en?

Absolut. Die klassische­n Medien haben viel gelernt nach Gladbeck. Und dennoch ist man heute näher und ungefilter­ter dran als damals. Es ist kurios und tragisch. Wir sollten deshalb darüber reden, dass sich auch die neuen Medien mit ethischen Fragen auseinande­rsetzen und sich Richtlinie­n für die eigene Arbeit setzen. Das ist bisher noch nicht geschehen.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN JÖRG KÖPKE/GORDON REPINSKI

 ??  ?? Geiselnehm­er Dieter Degowski hält Silke Bischoff einen Revolver an den Hals. Neben ihm sitzt die zweite Geisel Ines Voitle. Udo Röbel ist heute 68 Jahre alt und arbeitet als Journalist.
Geiselnehm­er Dieter Degowski hält Silke Bischoff einen Revolver an den Hals. Neben ihm sitzt die zweite Geisel Ines Voitle. Udo Röbel ist heute 68 Jahre alt und arbeitet als Journalist.
 ??  ?? Die bewaffnete­n Geiselnehm­er Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen am 17. August 1988 in einem gekaperten Linienbus.
Die bewaffnete­n Geiselnehm­er Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen am 17. August 1988 in einem gekaperten Linienbus.
 ??  ?? Fotografen und TV-Teams umringen die Entführer in Köln.
Fotografen und TV-Teams umringen die Entführer in Köln.

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