Technik aus dem All
Welche Ergebnisse der Weltraumforschung Einzug in den automobilen Alltag gefunden haben
Von STEFAN WEIßENBORN
Was haben Alexander Gerst und Sigmund Jähn gemeinsam? Beide sind unserer Männer im All! Der eine ist zurzeit als Astronaut im Weltraum, der andere war als Kosmonaut der erste Deutsche dort oben. Jähns Ausflug ins Weltall jährt sich übrigens morgen, am Sonnabend, den 25. August, zum 40sten Mal.
Das ist interessant - aber was hat dies mit Auto und Verkehr zu tun? Ganz einfach: Viele Funktionen, Werkstoffe und Materialien in Autos gehen auf die Weltraumforschung zurück. Dabei erscheinen die Erfindungen teils simpler, als man es für Produkte aus der Weltraumforschung erwarten würde.
Beispiel Schaumstoff. Was heute in Polstern alltäglich Gemütlichkeit aufkommen lässt, wurde einst in der Forschungsabteilung der NASA (Ames Research Center) entwickelt, um Sitze für lange Flüge komfortabler und sicherer zu machen. Das 1981 vorgestellte und Temperfoam genannte Material hat laut NASA sogar stoßdämpfende Ei- genschaften. Eine 3,5 Zentimeter dicke Schaumstoffmatte kann die Aufprallenergie eines aus 30 Zentimeter fallenden Erwachsenden absorbieren. Denken Sie einmal daran, wenn Sie heute in Ihr Auto einstiegen...
Auch ausgetüftelte Dämpfungssysteme, einst für den Space-Einsatz entworfen, haben den Weg auf den Asphalt gefunden. Wenn eine Rakete abhebt, wirken starke Kräfte. Ist ein Satellit mit sensibler Messtechnik an Bord, muss dieser vor den extremen Belastungen und Schockwellen geschützt werden, die auftreten, wenn zum Beispiel die Geschwindigkeit der Trägerrakete von Unterschall zu Überschall übergeht oder ausgebrannte Raketenstufen abgesprengt werden. Um diese Kräfte auszugleichen, wurden Schwingungs- und Schalldämpfungstechnologien entwickelt. Von der Lösung, die in Ariane-Raketen der Europäischen Weltraumorganisation ESA zum Einsatz kam, profitierten schon Cabrio-Fahrwerke.
Auch extreme Hitzeentwicklung ist ein Phänomen, dem Ingenieure sowohl in der Raumfahrt als auch im Autobereich Herr werden müssen. Im Rahmen ihres Apollo-Programms beplankte die NASA ihre Mondsonden mit Gold-Hitzeschilden, um Instrumente an Bord vor hohen Temperaturen und Strahlung zu schützen. Auch an Satelliten setzt die USRaumfahrtbehörde mehrschichtige Goldfolie ein – sowie später in den Neunzigern der Sportwagenhersteller McLaren beim Flitzer F1 unter der Motorhaube. Damit sollte verhindert werden, dass die vom 6,1 Liter großen Zwölfzylinder entwickelte immense Hitze die Motorabdeckung durchkokelt.
Ein weiteres Material, das hohen Temperaturen standhält, sind faserverstärkte Keramiken. Sie haben schon den Space Shuttle beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre geschützt. Gut machen sie sich aber auch als Material für hochbelastbare Bremsscheiben, wie sie die Autobauer oft an Sportwagen montieren. Mitte der Achtziger entwickelte Isuzu sogar einen ganzen Motor aus Keramik, der es aber nie in die Serie schaffte – Glühkerzen aus hitzebeständiger Keramik, die die Kaltstarteigenschaften von Dieselmotoren verbessern, gelang dies jedoch schon.
Eine andere Erfindung zur Regulierung der Temperatur sind so genannte Aerogele. Der Getriebetunnel des Chevrolet Corvette C7 ist mit dem Supermaterial ausgerüstet, das als einer der leichtesten formbaren Feststoffe überhaupt gilt …
In Sachen Sicherheitsplus verdankt das Auto dem Technologietransfer neben dem Auslösesensor von Airbags, der ebenfalls auf Basis von Raumfahrttechnologien entwickelt wurde, auch Kollisionswarner und -vermeidungssysteme, die sich in modernen Pkw immer mehr durchsetzen und den Fahrer in Abhängigkeit vom Tempo bei zu geringem Sicherheitsabstand warnen oder eingreifen. Denn auch die Marssonde Phoenix sollte schließlich unbeschadet auf dem roten Planeten landen und dabei mit keinem beweglichen Objekt kollidieren – im Mai 2008 gelang dies, und Phoenix sendete erfolgreich Signale zur Erde.
Für bessere Fahreigenschaften auf dem Mond bei den dort herrschenden niedrigen Temperaturen, entwickelte Goodyear für den Rover der Apollo-14-Mission zu Beginn der Siebzigerjahre Reifen mit einer Gummimischung, die bis zu minus 125 Grad Celsius geschmeidig bleibt. Die Folge fürs Auto: Der Spikesreifen wurde zunehmend durch moderne Winterreifen verdrängt. Zu Beginn der 2000erJahre bekam die Entwicklung des luftlosen Reifens einen Schub, als die NASA gemeinsam mit Michelin den Tweel entwickelte, ein Zwitter aus Reifen und Rad. Zunächst für den Mondrover gedacht, testet die Automobilindustrie mittlerweile erste luftlose Reifen für Pkw. Weil solche Reifen wie sie auch schon Bridgestone oder Hancock als Prototypen vorgestellt haben, auch leichter und rollwiderstandsärmer sind, würden sie am Auto montiert, nebenbei dessen Verbrauch senken.
Diesen Effekt können Autofahrer auch erzielen, wenn sie den kürzesten Weg zum Ziel nehmen, etwa mit Hilfe des Navis, das das Auto über GPS-Signale ortet und entlang der Route führt. Ursprünglich wurde das Global Positionen System für die US-Air Force entwickelt, das NASA-Satelliten nutzte. Anfangs noch zu ungenau für den Straßenverkehr, ist seit knapp 20 Jahren eine auf wenige Zentimeter genaue Standortbestimmung möglich, GPS-basierte Navigationslösungen im Auto kamen in Mode.