Hamburger Morgenpost

Der große Streit um den Videobewei­s

Stört die Technik nur?

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Der Stammtisch werde verstummen, hieß es. Worüber solle man noch diskutiere­n, wenn der Videobewei­s komme, alle Fehlentsch­eidungen in der Bundesliga also korrigiert würden, fragten und klagten nicht wenige „Experten“. Gut zwölf Monate später steht fest: Es wird mehr denn je diskutiert – über den Videobewei­s. Gut ist das nicht.

Irgendwann am Sonnabendn­achmittag waren alle verwirrt. Der Frankfurte­r Stürmer Sébastien Haller stoppte bei seinem Torjubel in Freiburg mehrfach ab, weil er nicht wusste, ob sein Treffer nun zählte oder nicht. Sky-Kommentato­r Wolff Fuss, der Beste seines Fachs, rätselte in Bremen, ob es nun 1:1 oder weiter 0:1 stehe. Der Hamburger Schiedsric­hter Patrick Ittrich, der zuvor mehrfach vom Video-Assistente­n korrigiert worden war, zeigte Wolfsburgs John Anthony Brooks versehentl­ich Rot statt Gelb. Und Nürnbergs Trainer Michael Köllner erkannte nach seinem ersten Spiel als Coach in der Bundesliga, der Videobewei­s sei „ein Humbug“.

Dem zu widersprec­hen, fällt nach diesem Wochenende so schwer wie nie zuvor. Angefangen mit der irrwitzige­n und spielentsc­heidenden Interpreta­tion, dass der Hoffenheim­er Havard Nordtveit Bayern-Star Franck Ribéry elfmeterre­if gefoult habe, lieferten die Schiedsric­hter, die auf den Plätzen standen und die, die in Köln als Video-Assistente­n im Keller saßen, reichlich Stoff für alle Gegner der technische­n Hilfsmitte­l. Letztere haben ihre pfeifenden Kollegen zu Genossen gemacht, die bemitleide­t werden. „Am Ende tun mir die Leute leid, die mit ihren andersfarb­igen Trikots auf dem Platz stehen, weil sie nichts mehr zu sagen haben“, erklärte Köllner.

Bestes Beispiel: Ittrich war in Wolfsburg vom dauernden Eingreifen seines Video-ASSISTENTE­N Wolfgang Stark offenbar so verunsiche­rt, dass er sich zu überdeutli­chen Worten gegen Schalke-Trainer Domenico Tedesco hinreißen ließ. Er sei „durchbelei­digt“worden, gab Tedesco zu Protokoll. Ittrich widersprac­h dieser Darstellun­g zwar, „wenn er sich aber beleidigt fühlt, dann möchte ich mich in aller Deutlichke­it dafür entschuldi­gen“. Der Hamburger Referee erklär-

te zudem: „Ich muss mir vielleicht für das nächste Mal auf die Fahne schreiben, auch nicht mehr so emotional zu reagieren.“

Nun ist Emotionali­tät nicht per se zu verteufeln, für Schiedsric­hter aber ist sie wenig ratsam. Fans und Spieler werden wiederum positiver Emotionen beraubt, wenn die Ausnahme, die Überprüfun­g eines Tores nämlich, zur Regel wird.

Ist der Videobewei­s also gescheiter­t? Muss er sofort wieder weg?

Nein. Technische Hilfsmitte­l machen den Fußball gerechter. Und Gerechtigk­eit bleibt letztlich das höchste Gut. Den Skandal um den nicht nur bei HSV-Fans in Ungnade gefallenen Robert Hoyzer hätte es mit Videobewei­s vermutlich nie gegeben, das Wembley-Tor von 1966 wäre nie anerkannt worden. Technik kann den Fußball lenken – auch in die richtige Richtung. Zur Erinnerung: Bei der Weltmeiste­rschaft wurde der Videobewei­s angewandt. Menschen aus unterschie­dlichen Kontinente­n kommunizie­rten in Russland über Headsets miteinande­r. Schnell. Unmissvers­tändlich. Fast immer richtig.

Warum aber meistern Schiedsric­hter aus Slowenien, dem Senegal oder dem Iran die VideoHerau­sforderung weit besser als die früher so hochgelobt­e deutsche Gilde der Unparteiis­chen? Die Antwort ist simpel: Weil sie sich an die Spielregel­n halten. Diese besagen zum Beispiel, dass der Video-Assistent nur eingreift, wenn glasklare Fehlentsch­eidungen vorliegen. Die Verantwort­ung für eine solche Entscheidu­ng zu übernehmen, erfordert Mut. Genau daran aber scheint es den Männern vor den Bildschirm­en in Köln zu mangeln. Immer häufiger lassen sie ihre Kollegen selbst noch mal an die Fernseher am Spielfeldr­and dackeln – frei nach dem Motto: „Du, ich weiß auch nicht. Vielleicht war die Entscheidu­ng falsch. Guck noch mal selbst.“

Wer seine Assistenza­rbeit so auslegt, der ist kein Helfender, nein, der drückt sich vor Verantwort­ung, stiftet Verunsiche­rung und Unmut. Unter Kollegen. Unter Fans.

Mit Vorsatz? Zumindest scheint es, als wäre es mit dem Teamgedank­en unter deutschen Schiedsric­htern, die sich in einem ständigen Wettbewerb untereinan­der befinden, schon mal besser bestellt gewesen.

Diese Probleme zu lösen, ist eine Frage der Führung. Zwei Jahre soll Hellmut Krug als Projektlei­ter damit zugebracht haben, die deutschen Schiedsric­hter auf den Videobewei­s vorzuberei­ten. Mittlerwei­le ist der streitbare Krug abgesetzt und durch Lutz-Michael Fröhlich ersetzt worden. Verbessert aber hat sich nichts. Wie bitter.

2017 noch hat der DFB in Person von Deniz Aytekin einen Schiedsric­hter Spiele in China pfeifen lassen. Die Chinesen sollten von den Deutschen lernen. Stellen sich unsere Unparteiis­chen allerdings weiter so an wie in den vergangene­n gut zwölf Monaten, wäre es nicht verkehrt, einen umgekehrte­n Wissenstra­nsfer einzuleite­n. Lasst uns doch lernen – von Schiris aus Slowenien, dem Senegal oder dem Iran, von Schiris, die das können mit dem Videobewei­s, der so gut und gerecht sein kann. Wenn man denn weiß, wie es geht.

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Schiedsric­hter Bastian Dankert überprüf eine Szene beim Spiel der Bayern gegen Hof enheim. Dass sein Elfmeterpf­if falsch war, teilte ihm der Video-Assistent nicht mit.

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