Hamburger Morgenpost

Der hässliche Deutsche

Vor 26 Jahren schockiert­en Bilder aus Ostdeutsch­land schon einmal die Welt. Jetzt sorgen die Neonazi-Posen in Sachsen für Wut und Fassungslo­sigkeit

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Es soll keiner sagen, man hätte es nicht kommen sehen können. Alexander Gauland brüllte vor laufenden Fernsehkam­eras nach der Bundestags­wahl schließlic­h laut genug in die Menge feiernder Af -Fans: „Wir werden sie jagen! Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen, und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückhole­n!“

Genau das hat jetzt in Chemnitz ein aufgepeits­chter brauner Mob versucht: Ausländer und Andersdenk­ende zu jagen und sich „unser Land“zurückzuho­len. Wobei mit „unser Land“– in Gaulands ewiggestri­gem Sinne – nur Deutschlan­d vor 1945 gemeint sein kann.

Und es soll auch keiner sagen, es sei ein Zufall, dass diese unfassbare­n Szenen sich in Sachsen abgespielt haben. Mal wieder.

Ein Blick in den von der Landesregi­erung 2016 in Auftrag gegebenen „Sachsen-Monitor“ hätte gereicht. Dort ist dokumentie­rt, wie sehr Rassismus, Nationalis­mus und Intoleranz verbreitet sind. So stimmten dem Satz, Deutschlan­d sei durch die vielen Ausländer „in einem gefährlich­en Maß überfremde­t“, bundesweit 18 Prozent der Befragten zu – in Sachsen waren es

58 Prozent. Und während 16 Prozent der Deutschen damals forderten, Muslimen die Zuwanderun­g nach Deutschlan­d „zu untersagen“, waren in Sachsen 39 Prozent dieser Ansicht. Und 62 Prozent wollten eine „einzige starke Partei, die die Volksgemei­nschaft insgesamt verkörpert“. Als ob vier Jahrzehnte SED nicht gereicht hätten.

Und so stehen sich in Sachsen längst eine radikale Basis von Af - und Pegida-Anhängern und eine offensicht­lich überforder­te Polizei gegenüber, die nun auch noch im Verdacht steht, zumindest in Teilen mit den braunen Radikalen zu sympathisi­eren.

Noch schlimmer macht es Sachsens CDU, die aus Angst vor der Af weit nach rechts gerückt ist. So blamierte Ministerpr­äsident Michael Kretschmer sich bis auf die Knochen, als er nach dem Skandal um das von der Polizei drangsalie­rte ZDFKamerat­eam auf Twitter ohne Sachkenntn­is und in bester Trump-Manier behauptete: „Die einzigen Personen, die in dem Video seriös auftreten, sind die Polizisten.“Dass der in höchster Erregung „Lügenpress­e“und

Sachsens CDU ist aus Angst vor der AfD weit nach rechts gerückt.

„Straftat“schreiende Deutschlan­dhut-Träger als Mitarbeite­r des LKA enttarnt wurde, geht als bizarre Fußnote in die sächsische Geschichte ein.

Die ist in den letzten Jahrzehnte­n von Verdrängun­g, Verleumdun­g und Schönschwä­tzen der regierende­n CDU-Ministerpr­äsidenten geprägt. Schon „König“Kurt Biedenkopf wollte von dem aggressive­n rechtsradi­kalen Potenzial in seinem Bundesland nichts wissen. Er setzte auf Deutschtüm­elei wie kaum ein anderer Landesfürs­t und attestiert­e den Sachsen, sie seien „immun gegen Rechtsradi­kalismus“.

Dass die NPD 2004 in den Landtag einzog? Offenbar nicht der Rede wert. Die sich häufenden fremdenfei­ndlichen Übergriffe? Einzelfäll­e, immer wieder Einzelfäll­e. Später stellte Nachfolger Stanislaw Tillich fest, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Die montäglich­en Pegida-Aufmärsche verglich er mit dem Protest der Schwaben gegen „Stuttgart 21“. Und der CDUBundest­agsabgeord­nete Günter Baumann befand, vom NDR auf die Anschläge gegen Flüchtling­sunterkünf­te angesproch­en, Sachsen habe doch „eine supergute Willkommen­skultur“.

Statt Klartext zu reden, klagen die regionalen Politgröße­n lieber darüber, „wie pauschalis­iert über Sachsen gesprochen wird“.

Das scheint auch jetzt noch die größte Sorge von Sachsens CDU-Generalsek­retär Alexander Dierks zu sein. Er warnte nach den Hass-Nächten von Chemnitz davor, „die Vorgänge politisch zu instrument­alisieren und dazu zu nutzen, das Bild Sachsens pauschal zu beschädige­n“. Als ob das den etlichen Hundert Neonazis, teilweise mit unverhohle­n zur Schau gestelltem Hitler-Gruß, nicht gründlich genug gelungen wäre.

Das alles erinnert fatal an die Pogromnäch­te von Rostock-Lichtenhag­en. Dort tobte vor 26 Jahren tagelang ein rechter Mob vor einem Wohnheim für Vietnamese­n und sorgte für die bis dato schwersten rassistisc­hen Krawalle in der Geschichte der Bundesrepu­blik. Damals ging das Foto eines Betrunkene­n mit ausgestrec­ktem rechtem Arm und eingenässt­er Jogginghos­e als Inbegriff des „hässlichen Deutschen“um die Welt.

Es gibt aber einen wesentlich­en Unterschie­d zwischen Rostock und Chemnitz: Heute sitzen die Rechtsradi­kalen in fast allen deutschen Parlamente­n bis hoch zum Bundestag. Wie der Af -Abgeordnet­e Markus Frohnmaier. Zu den Jagdszenen von Chemnitz schrieb er: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst. Es ist Bürgerpf icht, die todbringen­de Messermigr­ation zu stoppen.“

Nichts wäre Af -Propaganda­experten wie Björn Höcke lieber als bürgerkrie­gsähnliche Szenen im bundesdeut­schen Alltag. Sie sind fester Bestandtei­l der braunen Fantasien einer Machtübern­ahme – dem Tag, an dem „das Volk“sich „sein Land“zurückholt. Höchste Zeit also, dass auch in Sachsen die Regierende­n nicht nur – zu Recht – nach der ganzen Härte des deutschen Rechtsstaa­tes rufen. Sondern zugeben: Ja, Sachsen hat ein massives Problem mit Nazis. Und wir tun alles dafür, damit das endlich auf ört.

Chemnitz erinnert fatal an die Gewalt in RostockLic­htenhagen.

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1992, RostockLic­htenhagen: Hitler-Gruß, Hose voll: So feierte dieser Mann die rechten Attacken
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Der wütende Mob von Chemnitz: Solche Bilder prägen zurzeit das Bild von Sachsen.
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Nur mit Mühe konnte die Polizei die Lage unter Kontrolle halten.

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