Der Barkeeper mit dem Tee-Tick
Mit Gin, Rum und Cognac verdient er eigentlich sein Geld, nach einer langen Nacht hinter der Theke vertrieb Arne Wegscheider, Chef der „Bricks Bar“im „Renaissance Hotel Hamburg“, mit Kaffee die morgendliche Müdigkeit. Doch seinen Muntermacher hat der 44-Jährige mittlerweile gegen Tee eingetauscht – und die Bar zur „Tea Lounge“erweitert.
Der Zufall spielte eine entscheidende Rolle wie so oft bei wichtigen Erfindungen. Es soll an einem Frühlingsabend im Jahr 2737 v. Chr. gewesen sein, als der chinesische Kaiser Shen Nung, müde von einer Reise, unter einem Baum Wasser abkochte. Wind kam auf und wehte einige Blätter ins Wasser. Das verfärbte sich golden und duftete angenehm. Shen Nung kostete das Gebräu, es schmeckte ihm – und munter machte es auch! Der Baum war ein Teebaum, die Menschheit fortan um ein köstliches Getränk reicher.
Behutsam schöpft Arne Wegscheider Teeblätter ins Sieb der weißen Porzellankanne, während er diese Legende erzählt. Neben der Kanne liegen eine Uhr und ein Thermometer. Denn der „Darjeeling First Flush“, ein indischer Schwarztee aus der Frühlingsernte, verlangt 100 Grad heißes Wasser und drei Minuten Ziehzeit, damit er sein Aroma perfekt entfalten kann. Der 44-Jährige schließt die Augen, nimmt einen tiefen Schluck, seufzt. „Herrlich!“
Zugegeben, Liebe auf den ersten Blick war es nicht zwischen dem Getränk, das „Achtsamkeit verlangt“, und dem Barchef des „Renaissance Hotels“an den Großen Bleichen, der abends mit dem Cocktailshaker jonglierte und morgens eine große Kanne Kaffee zum Wachwerden brauchte. „Ich dachte, Tee sei langweilig.“Aber Wegscheider war beruf ich neugierig geworden auf den Aufguss, von dem sich die Deutschen immerhin 70 Liter pro Jahr genehmigen, die Ostfriesen sogar 300 – Tendenz steigend.
Bei einem dreitägigen Intensivkurs an der „Ronnefeldt Tea Academy“in Frankfurt lernte er Grundlegendes zu Anbau und Sorten, fing Feuer. Sein neues Ziel: die Ausbildung zum „Tea Master Gold“, ein Titel, den weltweit nur rund 100 Experten tragen. Dafür ging es im Frühjahr mit Ausbildern und weiteren Prüf ingen nach Sri Lanka, weltberühmt für seinen Tee, auf eine elftägige „straffe Bildungsreise“. Die führte Wegscheider als Erntehelfer auf Plantagen, zu Farmen, Fabriken und einer Tee-Auktion. Langeweile? Keine Spur. Am Ende der Reise hatte der 44-Jährige nicht nur seine Prüfung bestanden, sondern endgültig ein neues Lieblingsgetränk gewonnen.
„Vielen Menschen schmeckt Tee, wenn er nur richtig zubereitet wird“, sagt Wegscheider, der seinen schnellen Morgenkaffee endgültig eingetauscht hat gegen ein entspanntes Aufgussritual. In der Tee-Lounge der „Bricks Bar“will er genau das: Gäste mit seiner neuen Begeisterung anstecken, eine „Auszeit vom Alltag“schaffen. Mehr als 30 Teesorten hat er dafür jetzt im Angebot, neben Lose-Blatt-Tees von schwarz bis grün auch Heißaufgussgetränke, also Kräuterund Früchtetees. Er greift zur Kanne. „Mögen Sie noch einen?“. Gern.