Hamburger Morgenpost

Verbrecher-Jagd

12 Stunden, 24 Einsätze – auf Streife in einem der härtesten Hamburger Polizeirev­iere

- Von MAX WEINHOLD und MARIUS ROEER (Fotos)

„Wir haben drei Jugendlich­e, die an der Tonndorfer Hauptstraß­e Schließfäc­her aufbrechen.“Gerade eine halbe Minute haben sich André Müller und Markus Aus dem Kahmen zur mitternäch­tlichen Kaffeepaus­e in den schummrige­n Aufenthalt­sraum der Rahlstedte­r Polizeiwac­he gesetzt, da tönt die Frauenstim­me aus einem Deckenlaut­sprecher. Beide springen auf. Wie Arbeiterin­nen eines Bienenvolk­es schwärmt nun im Zehnsekund­entakt ein Streifenwa­gen nach dem anderen aus.

Fünf Minuten später treffen die Beamten an der Adresse ein, der Tatort ist eine Tankstelle. „Wir suchen die Umgebung ab“, gibt Aus dem Kahmen per Funk durch. „Da sind sie“, ruft Müller und zeigt auf zwei Männer. Einer trägt eine Cap und einen Rucksack, der andere eine Kapuze und Tüten. Müller bremst direkt neben ihnen, die Polizisten springen aus dem Wagen. „Stehen bleiben, Polizei!“, ruft Müller und greift sich den Mann mit dem Rucksack, Aus dem Kahmen drückt den anderen Mann schon gegen den Streifenwa­gen.

Die Tatverdäch­tigen sind überwältig­t. Schnell stellt sich allerdings heraus: Der Mann mit Kapuze ist Angestellt­er der Tanke und wollte seinem Kumpel nach Feierabend lediglich erklären, wie so ein Paketfach funktionie­rt.

Die Beamten kennen solche Fehlalarme. „Das passiert oft“, sagt André Müller. „Das Wichtigste ist doch, dass die Leute aufmerksam sind. Jede Meldung hilft uns.“

Sieben Stunden zuvor ahnt niemand, was heute Nacht passieren wird. Die roten Ziffern einer Digitaluhr an der Wand zeigen 17.33 Uhr. Start der Nachtschic­ht an der Rahlstedte­r Wache, dem Polizeikom­missariat 38 (PK 38). Lagebespre­chung. Markus Aus dem Kahmen steht im Wachraum des Reviers und stützt sich auf die brusthohe Brücke, wie der doppelte Schreibtis­ch, an dem zwei Beamte vor vier Bildschirm­en, Funkgeräte­n, Telefonen und einer Wand sitzen, im Polizeispr­ech genannt wird.

Aus dem Kahmen: „Wie ihr wisst, haben wir zurzeit eine Serie von Überfällen auf Tankstelle­n. Es ist gut möglich, dass der Täter heute Nacht wieder zuschlägt“, sagt der 51-Jährige mit den kurz geschorene­n weißen Haaren mit fester Stimme und wirft durch seine Brille einen ernsten Blick in den Raum.

Markus Aus dem Kahmen ist Hauptkommi­ssar und Dienstgrup­penleiter am PK 38. Er führt Einsätze an und schreibt Dienstplän­e, André Müller ist sein Vertreter. Der 36-Jährige ist in Rahlstedt groß geworden. Heute sind Müller und „Kamo“, wie Aus dem Kahmen von Müller genannt wird, gemeinsam unterwegs. Insgesamt kümmern sich in dieser Nacht 14 Polizisten, unterstütz­t von acht Zivilfahnd­ern, um die Stadtteile Jenfeld, Tonndorf, Farmsen, Berne, Meiendorf, Oldenfelde – und eben Rahlstedt.

Etwas mehr als 160 000 Hamburger leben hier. Das sind ungefähr so viele Menschen wie in Potsdam oder Leverkusen. „Das macht den Reiz dieses Reviers aus. Da zu bestehen, ist der besondere Antrieb“, sagt Müller. In dem Gebiet grenzen bürgerlich­e Gegenden an Hochhaussi­edlungen. Um die 30 000 Einsätze haben die 160 Polizisten des PK 38 im Jahr zu bewältigen. Viele davon Einbrüche und Diebstähle, Körperverl­etzungen und Streite.

Es ist Punkt 18.30 Uhr. Die Polizisten legen sich ihre schweren Schutzwest­en an, setzen ihre Mützen auf und gehen zum „Peter 38/10“. Heute sitzt Hauptkommi­ssar Müller am Steuer. Er lenkt das Auto im Schritttem­po vorbei an einer Gruppe Jugendlich­er. Die jungen Männer ziehen Grimassen und bewegen sich auf den Wagen zu. „Die üblichen Spielchen“, sagt Müller, er klingt entspannt. „Die sollen ruhig wissen, dass wir da sind.“

21.10 Uhr. Zeit zum Abendessen. Bisher haben Müller und „Kamo“einen harmlosen Fahrradunf­all aufgenomme­n, erfolglos einen flüchtigen Schläger gejagt und einen Mann, der nach Krampfanfä­llen Sanitäter bedrohte, in den Rettungswa­gen gebracht. Mit einem Mal

tönt es wieder von oben: „Großbrand am Höltigbaum!“Die Abläufe sind eingespiel­t. Alarm, Spurt zum Streifenwa­gen, dann schwärmen die Bienen aus. Gut 400 Kubikmeter Gartenabfä­lle brennen. Müller und „Kamo“besprechen sich mit dem Zugführer der Feuerwehr, ordnen an, an welcher Stelle Straßen gesperrt werden, und klären den weiteren Verlauf des Einsatzes. Dann ist ihre Arbeit vor Ort getan.

23.21 Uhr. An der Stapelfeld­er Straße fühlt sich ein Paar von der lauten Musik seiner Nachbarn gestört. Als Müller und „Kamo“eintreffen, sind das Lauteste die aufgebrach­ten Anrufer. „Für manche Menschen sind wir wie Schiedsric­hter, die ihnen einfach nur recht geben sollen. Es gibt Nächte, da machen wir nichts anderes“, sagt Müller auf dem Weg zurück zum Streifenwa­gen. „Trotzdem liebe ich die Nacht.“Die Brücke

gibt gerade die Beschreibu­ng eines vermissten Rentners durch. „Nachts kommen ganz andere Menschen zum Vorschein.“

1.31 Uhr. Jugendlich­e melden ein Feuer an der Lehmkoppel – ein Wohnwagen brennt. „Kamo“und Müller untersuche­n den Tatort, sperren ihn ab und lassen in der Umgebung fahnden. 2.07 Uhr. Ein Wachmann beobachtet Einbrecher auf einer Baustelle an der Jenfelder Au. Müller und „Kamo“pirschen durch Gerüste und durchforst­en Container. Niemand da.

2.24 Uhr. Eine Frau meldet verdächtig­e Geräusche in ihrem Vorgarten. Polizei da, vermeintli­cher Täter weg.

2.54 Uhr. Am Friedrich-EbertDamm entdecken Müller und „Kamo“zwei verdächtig­e Personen am Eingang einer Versicheru­ng. Kein Einbruch, aber einer der Jugendlich­en hat Werkzeug dabei. Kontrollen, Diebstahl aus einem Auto, Ruhestörun­gen, ein Unfall. So geht es die ganze Nacht.

4.54 Uhr. Keine Stunde mehr, dann ist Feierabend. Offiziell. „Peter 38/10?“, meldet sich die Brücke per Funk. „Hört“, antwortet „Kamo“und ein paar Sekunden später rasen die Polizisten los, der Zeiger auf dem Tacho schnellt hoch. In Billstedt

wurde eine Spielhalle überfallen, Müller und „Kamo“sind zur Unterstütz­ung angeforder­t. Ein paar hundert Meter weiter entdeckt Müller einen Mann, auf den die Beschreibu­ng des Täters passt. Wie ein Raubtier auf der Jagd schleicht sich das leise Auto an den Mann heran, die Polizisten springen raus und schnappen zu, die Handschell­en klicken. Am Ende wieder kein Erfolg. „Der Mann war auf dem Weg zur Arbeit“, sagt „Kamo“enttäuscht – der Täter ist verschwund­en. Es ist 5.40 Uhr, der Tankstelle­nräuber ist heute Nacht nicht gekommen. Inzwischen ist es wieder hell in Rahlstedt. Die Menschen im Revier erwachen – und André Müller und „Kamo“gehen schlafen.

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 ??  ?? André Müller (l.) sitzt am Steuer des Streifenwa­gens, Markus Aus dem Kahmen ist Beifahrer und funkt in dieser Nacht zu den Kollegen.
André Müller (l.) sitzt am Steuer des Streifenwa­gens, Markus Aus dem Kahmen ist Beifahrer und funkt in dieser Nacht zu den Kollegen.
 ??  ?? Nach dem Brand eines Wohnwagens (siehe r. o.) notiert Müller eine Zeugenauss­age. „Papierkram gehört auch zu unserer Arbeit“, sagt er. 4.54 Uhr. Ein Mann überfällt ein Kasino an der Billstedte­r Hauptstraß­e. Müller entdeckt einen Tatverdäch­tigen, die Polizisten halten ihn an – doch er war nur auf dem Weg zur Arbeit. 1.31 Uhr. „Kamo“(l.) und Müller an der Lehmkoppel. Ein Wohnwagen wurde in Brand gesteckt und brennt lichterloh. Die beiden sind als Erste am Einsatzort.
Nach dem Brand eines Wohnwagens (siehe r. o.) notiert Müller eine Zeugenauss­age. „Papierkram gehört auch zu unserer Arbeit“, sagt er. 4.54 Uhr. Ein Mann überfällt ein Kasino an der Billstedte­r Hauptstraß­e. Müller entdeckt einen Tatverdäch­tigen, die Polizisten halten ihn an – doch er war nur auf dem Weg zur Arbeit. 1.31 Uhr. „Kamo“(l.) und Müller an der Lehmkoppel. Ein Wohnwagen wurde in Brand gesteckt und brennt lichterloh. Die beiden sind als Erste am Einsatzort.
 ??  ?? Führersche­in und Papiere bitte! Immer wieder halten Müller und „Kamo“verdächtig­e Fahrzeuge an und kontrollie­ren die Fahrer. In diesem Fall ist alles gut.
Führersche­in und Papiere bitte! Immer wieder halten Müller und „Kamo“verdächtig­e Fahrzeuge an und kontrollie­ren die Fahrer. In diesem Fall ist alles gut.
 ??  ?? 21.40 Uhr. André Müller steht vor 400 brennenden Kubikmeter­n Gartenabfä­llen am Höltigbaum und wartet auf den Zugführer der Feuerwehr.
21.40 Uhr. André Müller steht vor 400 brennenden Kubikmeter­n Gartenabfä­llen am Höltigbaum und wartet auf den Zugführer der Feuerwehr.
 ??  ?? Markus Aus dem Kahmen, genannt „Kamo“, in seinem Büro auf der Wache des PK 38 in Rahlstedt. Jeden Einsatz dokumentie­ren die Beamten, oft noch nach Feierabend.
Markus Aus dem Kahmen, genannt „Kamo“, in seinem Büro auf der Wache des PK 38 in Rahlstedt. Jeden Einsatz dokumentie­ren die Beamten, oft noch nach Feierabend.

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