Tiefer Eingriff in das Selbstverfügungsrecht
Bevor wir ein Grundrecht ändern, sollten wir lieber das Transplantationssystem reformieren
Zunächst möchte ich festhalten, dass ich für Organspenden bin. Ich trage selbst einen Organspendeausweis bei mir. Dennoch halte ich die Widerspruchslösung für einen tiefen Eingriff in das Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper. Denn das Schweigen wird hier als Zustimmung in einem höchst persönlichen Bereich gewertet. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch juristisch fragwürdig: Rein rechtlich bedeutet bis auf wenige Ausnahmen ein Schweigen – insbesondere bei so gewichtigen Entscheidungen – ein „Nein“.
Beim Für oder Wider Organspende geht es um einen verfassungsrechtlich zentralen Bereich – da darf Schweigen nicht Zustimmung bedeuten. Hier einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, halte ich für gefährlich. Wir haben doch gerade erst die Datenschutzgrundverordnung verabschiedet, nach der man im Internet zustimmen muss, dass man mit der Datenweitergabe einverstanden ist. Und ausgerechnet bei der Widerspruchslösung wird das Prinzip umgedreht. Und das, obwohl es sich doch um einen viel persönlicheren Eingriff auf der Schwelle von Leben und Tod handelt!
Als Theologe ist es mir wichtig, dass wir bei der Organspende aus einem Akt der Nächstenliebe und Freiwilligkeit keinen Pflichtakt machen, bei dem man aktiv widersprechen muss. Wichtiger wäre es, dass in Deutschland durch Unregelmäßigkeiten und Skandale verloren gegangene Vertrauen in das Transplantationssystem wiederaufzubauen.
Wir wissen aus anderen EU-Ländern, dass es vor allem die jeweiligen Organisationsverfahren sind, die die Spendenzahlen verbessern, und nicht die jeweils geltenden Widerspruchs- oder Zustimmungslösungen. Daran müssen wir also arbeiten, bevor wir solch einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte vornehmen!
Wir müssen die Transplantationszentren personell und finanziell besser ausrüsten und sie mit einem Organisationsmanagement für die Organspenden versehen. Es muss der gesetzlich vorgesehene Transplantationsbeauftragte tatsächlich für diese Aufgabe freigestellt werden und er muss unabhängig sein. Es muss mehr zur Aufklärung der Bevölkerung getan werden, um den existierenden Ängsten im Hinblick auf den Todeszeitpunkt zu begegnen. Ich bin davon überzeugt, dass das hohe Gut der Integrität des menschlichen Körpers, der Selbstverfügung über den eigenen Körper, nicht aufgegeben werden darf, solange man wirtschaftlich und politisch noch viel tun kann zur Verbesserung der Transplantationsverfahren in Deutschland.