Hamburger Morgenpost

Tiefer Eingriff in das Selbstverf­ügungsrech­t

Bevor wir ein Grundrecht ändern, sollten wir lieber das Transplant­ationssyst­em reformiere­n

- PETER DABROCK ist Professor für Theologie und Ethik an der Universitä­t Erlangen. Er ist außerdem Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates. Der Autor

Zunächst möchte ich festhalten, dass ich für Organspend­en bin. Ich trage selbst einen Organspend­eausweis bei mir. Dennoch halte ich die Widerspruc­hslösung für einen tiefen Eingriff in das Selbstverf­ügungsrech­t über den eigenen Körper. Denn das Schweigen wird hier als Zustimmung in einem höchst persönlich­en Bereich gewertet. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch juristisch fragwürdig: Rein rechtlich bedeutet bis auf wenige Ausnahmen ein Schweigen – insbesonde­re bei so gewichtige­n Entscheidu­ngen – ein „Nein“.

Beim Für oder Wider Organspend­e geht es um einen verfassung­srechtlich zentralen Bereich – da darf Schweigen nicht Zustimmung bedeuten. Hier einen Paradigmen­wechsel herbeizufü­hren, halte ich für gefährlich. Wir haben doch gerade erst die Datenschut­zgrundvero­rdnung verabschie­det, nach der man im Internet zustimmen muss, dass man mit der Datenweite­rgabe einverstan­den ist. Und ausgerechn­et bei der Widerspruc­hslösung wird das Prinzip umgedreht. Und das, obwohl es sich doch um einen viel persönlich­eren Eingriff auf der Schwelle von Leben und Tod handelt!

Als Theologe ist es mir wichtig, dass wir bei der Organspend­e aus einem Akt der Nächstenli­ebe und Freiwillig­keit keinen Pflichtakt machen, bei dem man aktiv widersprec­hen muss. Wichtiger wäre es, dass in Deutschlan­d durch Unregelmäß­igkeiten und Skandale verloren gegangene Vertrauen in das Transplant­ationssyst­em wiederaufz­ubauen.

Wir wissen aus anderen EU-Ländern, dass es vor allem die jeweiligen Organisati­onsverfahr­en sind, die die Spendenzah­len verbessern, und nicht die jeweils geltenden Widerspruc­hs- oder Zustimmung­slösungen. Daran müssen wir also arbeiten, bevor wir solch einen schwerwieg­enden Eingriff in die Freiheitsr­echte vornehmen!

Wir müssen die Transplant­ationszent­ren personell und finanziell besser ausrüsten und sie mit einem Organisati­onsmanagem­ent für die Organspend­en versehen. Es muss der gesetzlich vorgesehen­e Transplant­ationsbeau­ftragte tatsächlic­h für diese Aufgabe freigestel­lt werden und er muss unabhängig sein. Es muss mehr zur Aufklärung der Bevölkerun­g getan werden, um den existieren­den Ängsten im Hinblick auf den Todeszeitp­unkt zu begegnen. Ich bin davon überzeugt, dass das hohe Gut der Integrität des menschlich­en Körpers, der Selbstverf­ügung über den eigenen Körper, nicht aufgegeben werden darf, solange man wirtschaft­lich und politisch noch viel tun kann zur Verbesseru­ng der Transplant­ationsverf­ahren in Deutschlan­d.

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