58 Sekunden Rampenlicht
Als Überraschungsgast spielt MOPO-Reporter Olaf Wunder in einem der erfolgreichsten Musicals Deutschlands mit
Die letzten Minuten sind furchtbar. Ich gehe nervös auf und ab, möchte am liebsten f iehen. Ich denke an den Tag im Fr hjahr zur ck, als der Chefredakteur mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen kann, bei der „Heißen Ecke“mitzuspielen, und ich so leichtsinnig war, „Ja“zu sagen. „Was hat mich bloß geritten? Wieso kann ich eigentlich nie Nein sagen?“, frage ich mich. Zeit, eine Antwort zu f nden, bleibt nicht, denn schon kommt das Zeichen: Jetzt! Raus auf die Bühne! Oh Gott, nein! Die „Heiße Ecke“– sie feiert Jubiläum. 15 Jahre ist es her, dass das Musical im „Schmidts Tivoli“uraufgeführt wurde. Seither gab es 4200 Vorstellungen, und schon mehr als zwei Millionen Zuschauer verfolgten mit Vergnügen, was für Menschen so alles im Laufe von 24 Stunden einem Imbissbetrieb auf der Reeperbahn einen Besuch abstatten – von der Prostituierten bis zum Zuhälter, vom Müllmann bis zum Partyhengst.
Auch ein schwäbischer Tourist ist dabei. Einer, der ausgerechnet auf dem Kiez Verlangen nach Spätzle und
Maultäschle hat. Verrückt! Normalerweise spielt Kai Bronisch (44) diese Rolle, aber heute übernehme ich den Part. Wieso? Weil der MOPO-Reporter eingeplant ist als Jubiläumsüberraschung fürs Publikum. „Danke, lieber Chefredakteur!“, möchte ich am liebsten rufen. „Sehr witzig!“
Schon vor Monaten habe ich damit begonnen, meinen Text zu lernen – immer in der Angst, ihn, wenn’s drauf ankommt, zu vergessen. Auf dem Klo, beim Duschen, beim Sport und sogar im Urlaub – immer hörte mein Umfeld zu, wie ich mal laut, mal leise „Grüß Göttle“rief. Und weiter: „Ach, des isch also der Duft der große weide Weld!“Ich weiß nicht, wie oft mich Freunde angezischt haben: „Nnnnnnnicht schon wieder!“
Dann ist der große Tag gekommen. Es geht nachmittags damit los, dass mir Gewandmeister Frank Kuder (49) das Kostüm überreicht: ein Hawaii-Hemd, Trainingsanzug, olivgrüner Schlapphut. Die Krönung: weiße Socken und Sandalen. Todschick. „Ja“, sagt Kuder, „wer bei der ,Heißen Ecke‘ mitspielt, muss jegliche Eitelkeit ablegen!“
h n n h r ln i echten Darsteller ein, be rüßen mich freundlich. „ oll, dass du mitspielst!“, sag einer. Kathi Damerow, di im Stück die Imbissfrau Ma got spielt (unverkennbar: ihr nasale Stimme) fragt mich: „ ist du aufregt?“„Überh upt nicht“, antworte ich. Natürlich glaubt mir keiner. Um mich zu beruhigen, fängt etra Staginnus – im Stück die „Hannelore“– damit an, mir den Nacken zu massieren
Als die Vorstellung dann um 20.20 Uhr beginnt, w rd’s hektisch hinter der Bühne. Nach Ende jeder Szene kommen Darsteller im Sprint in die Garderobe gelaufen, schlüpfen in Windeseile in neue Klamotten und rasen gleich wieder raus. Im Stück treten nach und nach mehr als 50 Figuren in Erscheinung – aber es gibt nur neun Darsteller. Allein Kai, der „echte“Schwabe, hat sechs weitere Rollen. Toll!
Und heute muss Kai nebenbei auch noch mein Kindermädchen sein. Immer wieder redet er beruhigend auf mich ein: „Keine Nervosität. Hab’ einfach Spaß!“Am Ende ist er es auch, der dafür sorgt, dass ich zum richtigen Zeitpunkt die Bühne betrete.
Es ist stockdunkel im Saal, als ich dort meine Position einnehme. Das Licht geht an, und plötzlich – was ist bloß passiert? – ist alle Nervosität weg. Das Publikum lacht über mein Outfit, dann auch über mein Spiel: „Grüß Göttle“, rufe ich der Imbissfrau zu. „Ach, des isch also der Duft der große weide Weld! Sagen’s Froilein, hen Se nur Currywürstle oder hen Se auch Spätzle?“Als ich dann noch nach „Maultäschle“frage, wird mir eröffnet, dass ich ein paar aufs Maul gratis haben kann. Darauf in weiche ich der Gewalt und suche das Weite.
58 Sekunden hat der Auftritt gedauert. Und ehrlich gesagt (verraten Sie es nicht meinem Chefredakteur!): Es hat wahnsinnig Spaß gemacht!
Als ich von der Bühne komme, klatschen mich meine Mitspieler ab. Und als wir uns am Ende des Stücks alle bei der Hand nehmen und vors Publikum treten, um uns die Ovationen abzuholen, bin ich ein bisschen traurig, dass meine Theaterkarriere schon wieder vorbei ist.