Die Neustadt bangt um ihre berühmte Tempel-Ruine
Trotz Denkmalschutzes verfällt die Wiege des Reform-Judentums immer mehr
Die Tempel-Ruine liegt versteckt in einem Hinterhof der Neustadt. Nur wenige Hamburger wissen von ihrer Existenz. Doch der Bau zieht Besucher aus der ganzen Welt an. Die ReformSynagoge an der Poolstraße war die Wiege des liberalen Judentums. Aber das einmalige Kulturdenkmal ist in akuter Gefahr: Es verfällt immer mehr, zudem plant der Grundstücksbesitzer auf dem Areal einen Neubau.
Poolstraße 12-14 – das ist zunächst einmal ein schöner Altbau mit etwa 20 Mietwohnungen. Wer dann aber die Einfahrt zur alteingesessenen Werkstatt „Auto Stern“durchquert, der stößt auf ein Areal, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Die Werkstatt befindet sich in Gebäuden, die ehemals zur Synagoge gehörten, und ist sympathisch altmodisch. „Wir sind seit 46 Jahren hier ansässig und würden auch sehr gern bleiben“, sagt Geschäftsführer Thorben Stern (32).
Doch die Zukunft des Betriebs steht in den Sternen. Das liegt an dem Areal hinter der Werkstatt: Für einen Hinterhof ist das Gelände sehr groß – ein Paradies für jeden Projektentwickler. Wenn da nicht diese gigantische Ruine wäre.
1817 hatten sich in Hamburg 65 „Jüdische Hausväter“getroffen und den Tempelverein gegründet. Ihr Ziel war es, die jüdische Religion zeitgemäß zu reformieren. Diese Gründungsväter des liberalen Judentums, dem sich heute etwa jeder Achte der 14 Millionen Juden zugehörig fühlt, wollten in der Neustadt einen repräsentativen Tempel errichten.
1844 war es so weit. Auch der Dichter Heinrich Heine (1797-1856) fühlte sich dem aufklärerischen Reform-Judentum verbunden. In Anspielung auf Konflikte mit den orthodoxen Juden reimte er 1843 spöttisch kurz vor der Eröffnung des Tempels: „Die Juden teilen sich wieder ein – in zwei verschiedene Parteien. Die Alten gehen in die Synagog, und in den Tempel die Neuen.“
Der damals vermutlich reichste Mann Hamburgs, der Bankier Salomon Heine, hatte den Tempel mitfinanziert. Er war der Onkel des weltberühmten Dichters und ein großer Wohltäter.
Während der „Reichspogromnacht“ 1938 wurde die Synagoge in der Neustadt vermutlich nur deswegen von den Nazis nicht angesteckt, weil diese die umliegenden Wohnhäuser nicht gefährden wollten. 1944 aber vernichteten die Bomben einen Großteil des Tempels. Doch die Reste der Apsis und der westlichen Torhalle blieben erhalten und verfallen immer mehr – und das, obwohl sie seit 2003 unter Denkmalschutz stehen.
Für Quartiersmanager Sascha Bartz handelt es sich um ein „einzigartiges und besonders erhaltenswertes Ensemble“. Kristina Sassenscheidt, die Vorsitzende des Denkmalvereins, spricht von einem „besorgniserregenden Zustand“. Der renommierte Historiker Franklin Kopitzsch hält den Zustand sogar für einen Skandal: „Das ist ein unhaltbarer Zustand, für den man sich schämen muss.“
Grundstücksbesitzer ist Michael Jester. Er sagte der MOPO: „Wir bemühen uns, für das Grundstück eine sinnvolle Entwicklung unter Beachtung der historischen Bausubstanz zu erreichen.“Dabei sei man mit der Stadt im Gespräch. 2016 hatte er einen Antrag auf Wohnungsbau gestellt, aber nicht weiter verfolgt. Anwohner sprechen jetzt davon, dass möglicherweise ein Hotel geplant sei.
Inzwischen verfallen die Tempelreste immer weiter. Aus dem komplett offenen Dachbereich ragen schon zwei kleine Bäume. Das Mauerwerk ist komplett marode und vermittelt den Eindruck, es könne jederzeit einstürzen.