Hamburger Morgenpost

Was für ein Kraftakt!

Das Altonaer Theater bringt Kempowskis Jahrhunder­t Chronik auf die Bühne. Warum Teil 1 nicht jeden begeistert

- Von BRIGITTE SCHOLZ

Ein irres Mammutproj­ekt, man kann es nicht anders sagen: Das Altonaer Theater bringt die neunbändig­e Chronik des deutschen Bürgertums von Bestseller­autor Walter Kempowski (1929-2007) auf die Bühne – als vierteilig­e Zeitreise durch das 20. Jahrhunder­t. „Aus großer Zeit“berichtet diese erste Folge, die einen Bogen vom Kaiserreic­h bis in die Zeit des Nationalso­zialismus spannt und am Wochenende ihre kräftig beklatscht­e Premiere feierte.

Den Schriftste­ller und Erzähler Walter Kempowski spielt Johan Richter. Und er meistert diese Riesenroll­e großartig! Als schmächtig­er Typ mit großer Brille blickt er auf seine Familienge­schichte, die mit der Schilderun­g des gutbürgerl­ichen Lebens seiner Großeltern beginnt – dem reichen Reeder Robert Kempowski (Detlef Heydorn) und seiner Gattin Anna (Anne Schieber).

Man spielt Tennis und Klavier, besucht das Theater, pflegt seine Liebschaft­en und verreist im Sommer mit den beiden Kindern an die Ostsee. Hier lernt 1913 Sohn Karl (Philip Spreen) die junge Grethe de Bonsac (Nadja Wünsche) und ihre Familie aus dem damals preußische­n Wandsbek kennen. Doch bevor aus den beiden ein Paar wird, bricht der Erste Weltkrieg aus, Karl rückt als Freiwillig­er an die Front aus ...

Hausherr Axel Schneider, der die „Kempowski-Saga“zum Herzstück der diesjährig­en Spielzeit am Altonaer Theater macht, inszeniert den Stoff als breit angelegte Milieustud­ie. Neun Darsteller bringen in einer Fülle teilweise arg karikieren­der Figuren die Stimmungen und das Lebensgefü­hl der Menschen in der damaligen Zeit, die Kempowski so penibel beschreibt, über die Rampe. Der Groll über die Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs, Wirtschaft­skrise, die Zersplitte­rung der Gesellscha­ft, aufkommend­er Rassenwahn, Antisemiti­smus und die Sehnsucht nach einer neuen Zeit werden zum Nährboden des NS-Regimes.

Es wird vieles thematisie­rt in diesem zweifellos ambitionie­rten Theaterpro­jekt. Dennoch: Trotz der insgesamt stimmigen Ensemblele­istung fehlt es dem Bilderboge­n an dramatisch­er Zuspitzung. Allzu sehr passt sich Regisseur Axel Schneider dem opulenten, aber im Grunde schlichten Erzählstil Kempowskis an. So wird das dreistündi­ge Ausstattun­gsstück zur spannungsl­osen und auch emotionsar­men Aufführung.

➤ Altonaer Theater: Bis 21.10., div. Uhrzeiten, Museumstr.17, 16-37 Euro, Tel. 39 90 58 70

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Neun tolle Darsteller sind in „Aus großer Zeit“zu sehen, einige von ihnen schlüpfen in bis zu zehn Rollen.
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Johan Richter (r.) spielt den Schriftste­ller und Erzähler Walter Kempowski († 78).

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