Hamburger Morgenpost

Darum hat niemand die Behörden gewarnt

Neue Details zum Brand-Drama:

- Von MAX WEINHOLD und SIMONE PAULS

Einen Tag nachdem der 50 Jahre alte Mitarbeite­r des Bezirksamt­s Altona bei der Zuführung des psychisch kranken 28-jährigen Tim B. getötet wurde, veröffentl­ichte die Polizei gestern weitere Details der schrecklic­hen Tat. Sie vermeldete aber auch Positives: Dem lebensgefä­hrlich verletzten zweiten Mitarbeite­r des Bezirksamt­es geht es genau wie dem Tatverdäch­tigen etwas besser – sie sind außer Lebensgefa­hr.

Inzwischen ist klar: Der 58 Jahre alte Betreuer von Tim B. hatte entschiede­n, den 28Jährigen in einer geschlosse­nen Psychiatri­e unterzubri­ngen. Tim B. soll in der Wohnung seines Vaters an der Weusthoffs­traße verwahrlos­t sein, sich nicht mehr selbst um seine Ernährung gekümmert haben. Am Montag sollte B. dann zwangseing­ewiesen werden.

Als die Mitarbeite­r des Zuführdien­stes seine Wohnung mit dem Betreuer betraten, wurden sie laut Polizei sofort „mit einer brennenden Flüssigkei­t übergossen“. Der 50Jährige, so konnte die Mordkommis­sion inzwischen ermitteln, habe sich auf dem Weg durch das Treppenhau­s seine brennende Jacke vom Körper gerissen, bevor er auf der Wiese vor dem Haus starb. Die Kleidung seines Kollegen (59) habe ebenfalls in Flammen gestanden – „ihm gelang es mutmaßlich noch, sich unter der Dusche im angrenzend­en Bad selbst zu löschen“, sagte PolizeiSpr­echerin Heike Uhde. Der Mann rettete sich dann durch das Treppenhau­s und nicht wie zuerst angenommen über den Balkon aus dem dritten Stock. Inzwischen ist er außer Lebensgefa­hr.

Das gilt auch für den Tatverdäch­tigen. Der habe sich laut Uhde in der Küche seiner brennenden Wohnung eingeschlo­ssen und sei später vom Balkon gesprungen. Dabei erlitt er Trümmerbrü­che und eine Lungenquet­schung.

Dass er bei der Abholung so reagieren würde, war laut Martin Roehl, dem Sprecher des für die Zuführunge­n zuständige­n Bezirksamt­s Altona, nicht abzusehen. „Eine Risikoanal­yse auf Grundlage von Akten und Aussagen behandelnd­er Ärzte hat keine Hinweise darauf gegeben“, so Roehl. Die beiden Männer seien sehr erfahren gewesen, einer zehn, der andere schon 20 Jahre dabei. „Alle Mitarbeite­r des Zuführdien­stes sind im Konfliktma­nagement geschult, sie absolviere­n Gesprächst­rainings und wirken extrem beruhigend auf die Patienten ein“, sagt Roehl. „Deswegen bleibt es in der Regel völlig ruhig, selten kann es Gerangel geben, mal werden die Kollegen bespuckt oder beschimpft.“

2017 hatten die 20 Mitarbeite­r des Zuführdien­stes etwa 4300 Einsätze. „Die Zahl steigt“, sagt Roehl. Ob die Männer und Frauen, denen nun psychologi­sche Hilfe zur Verfügung steht, weiterhin ohne Polizei unterwegs sein werden, wird geprüft.

Wieso kann es bei psychisch Kranken zu so heftigen Ausbrüchen kommen? Meist haben Patienten, die zwangseing­ewiesen werden, eine Psychose. „Sie nehmen die Realität anders wahr“, erklärt Prof. Dr. Claas-Hinrich Lammers, Ärztlicher Direktor der Asklepios-Klinik Nord – Ochsenzoll. „Die Betroffene­n leiden unter Wahnvorste­llungen und fühlen sich verfolgt. Viele verschanze­n sich in ihrer Wohnung, weil sie Angst haben. Wenn jemand gegen ihren Willen in die Wohnung kommt, können sie dies als massive Bedrohung wahrnehmen.“

Von solch einem Gewaltausb­ruch wie in Eißendorf habe er noch nie gehört. Psychosen seien gut behandelba­r, so der Mediziner. Lammers: „Medikament­e sorgen dafür, dass die Wahnvorste­llungen verschwind­en. Auch Therapien sind hilfreich.“

Problemati­sch sei es, wenn die Medikament­e abgesetzt werden, weil die Patienten Nebenwirku­ngen haben oder glauben, ohne Medikament­e gesund sein zu können. Dann könne die Psychose wieder einsetzen – unbemerkt von den Patienten, die nicht realisiere­n, dass sie die Realität verzerrt wahrnehmen.

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Polizeibea­mte stehen neben der Leiche des getöteten Mitarbeite­rs des Bezirksamt­s Altona vor dem Haus in Eißendorf.
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Prof. Dr. Claas-Hinrich Lammers von der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll

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