Hamburger Morgenpost

Die Sex - Verbrechen der Priester

Studie belegt 103 Missbrauch­sfälle. 33 Täter wurden ermittelt. Dunkelziff­er wesentlich höher

- NINA GESSNER n.gessner@mopo.de

ie wurden befummelt, seuell penetriert und gequält: Mindestens 3677 Kinder und ugendliche sind zwischen 946 und 2014 von katholiche­n Priestern in Deutschand missbrauch­t worden. Gestern wurde in Fulda die roße Missbrauch­sstudie er deutschen Bischöfe vorestellt. Sie blickt in die finsersten Abgründe der kathoschen Kirche – auch in Hamburg.

Mehr als vier Jahre lang hat Martin Colberg, Archivar des rzbistums Hamburg, so wie eine Kollegen in den andeen Diözesen Personalak­ten on Klerikern gewälzt. Immer auf der Suche nach Hinweisen.

„Bei einem vagen Anfangserd­acht habe ich in die Ortskten geschaut, persönlich­e riefe an den Bischof aus den Nachlässen gelesen, die Aken der Kinderheim­e durchesehe­n und Kontakt zu den rdensarchi­ven und zum istumsarch­iv Osnabrück ufgenommen. Für Mecklenurg waren auch die Stasiaken relevant“, erklärt Colberg ein Vorgehen, das sich auf as Territoriu­m des 1995 geründeten Erzbistums Hamurg (inklusive SchleswigH­olstein und Mecklenbur­g) ezog.

Was er fand, war trotz des chon 2010 bekannt gewordeen Missbrauch­sskandals chlimmer, als jeder der Verntwortl­ichen für möglich ehalten hatte: 103 Opfer wurden gefunden. 70 Prozent männlich, 30 Prozent weib- lich – die meisten im Alter von zwölf oder 13 Jahren. Als Täter konnten 33 Priester ermittelt werden – 17 in Hamburg und Schleswig-Holstein, 16 in Mecklenbur­g.

„Oft waren es Einzelgäng­er. Sonderling­e, die sich zurückgezo­gen haben“, beschreibt Colberg den Tätertyp. Der schlimmste Fall mit schwerer psychische­r, physischer und sexueller Gewalt habe sich im Bistumstei­l Mecklenbur­g zugetragen.

Keiner der Täter ist mehr im Dienst, betont Generalvik­ar Ansgar Thim in Vertretung von Bischof Stefan Heße, der gestern in Fulda war. Und kaum einer wurde bestraft: Laut Thim gab es zwei strafrecht­liche Verurteilu­ngen und zwei kirchenrec­htliche Verfahren. 24 staatsanwa­ltliche Verfahren wurden wegen Verjährung einge- stellt. Fünf Fälle waren nicht verifizier­bar.

Stattdesse­n wurden die Täter von der Kirche jahrelang gedeckt. Thim gibt zu, dass es „eine Versetzung­spraxis gegeben hat, offenkundi­ge Täter ohne Verfahren zu versetzen“. So wurden im Bistum Osnabrück beschuldig­te Priester in den Norden verschoben.

„Ich habe mit vielen Opfern und Tätern gesprochen“, so Thim. „Es hat mich sehr geprägt und sehr verändert.“

Die offizielle Entschuldi­gung bei den Opfern übernahm der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz: „Allzu lange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschau­t und vertuscht worden. Für dieses Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldi­gung“, sagte Reinhard Marx in Fulda. Von den 103 Opfern im Bistum Hamburg haben 50 eine Entschädig­ungssumme von 5000 Euro erhalten. Die übrigen haben entweder keinen Antrag gestellt oder sind schon verstorben. Sicher ist: Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziff­er ist enorm hoch. Nicht nur weil viele Opfer sich aufgrund starker Traumatisi­erung nicht melden. Sondern auch weil Forscher zumindest in süddeutsch­en Bistümern Hinweise auf Aktenmanip­ulation und vernichtun­g vorfanden. Thim: „Wir bitten die Opfer, sich bei uns zu melden!“Um künftig Missbrauch vorzubeuge­n, müssen Priester, Diakone und alle Mitarbeite­r seit 2010 ein erweiterte­s Führungsze­ugnis vorlegen, erklärte Thim. Die Teilnahme an einer Prävention­sschulung sei verbindlic­h. 12 000 Mitarbeite­r haben bereits eine solche Schulung absolviert. In den Kitas gebe es Schutzkonz­epte, die die Erzieher für Missbrauch­sanzeichen und Täterstrat­egien sensibilis­ieren. Das sei auch für Schulen, Pfarreien und Jugendproj­ekte geplant. Vielen gehen diese Maßnahmen nicht weit genug: Der Opferverba­nd „Eckiger Tisch“kritisiert­e die Studie als zu oberflächl­ich. Die tatsächlic­hen Missbrauch­szahlen bewegten sich „in völlig anderen Dimensione­n“, so Sprecher Matthias Katsch. Er kritisiert­e, dass weder die Namen von Tätern noch die verantwort­lichen Bischöfe genannt würden. Andere Kritiker fordern eine staatliche Untersuchu­ngskommiss­ion und höhere Entschädig­ungen. Kirchenkri­tiker fordern das Ende des Zölibats: „Es liegt doch auf der Hand, dass der Zölibat den Missbrauch fördert“, erklärte der Kriminolog­e Christian Pfeiffer. „Warum hat die evangelisc­he Kirche keinen Missbrauch­sskandal, sondern nur einzelne Fälle?“Ansgar Thim zeigt sich offen für Veränderun­gen: „Ich kann mir beides vorstellen: Priester, die im Zölibat leben, und Priester, die verheirate­t sind.“Da seien jetzt aber die Bischöfe gefragt.

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Generalvik­ar Ansgar Thim
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