Warum direkte Demokratie gegen Populismus hilft
Umweltsenator Jens Kerstan ist vehement dafür, Volksentscheide auch umzusetzen – das helfe auch gegen AfD & Co.
Vor genau 20 Jahren haben die Hamburgerinnen und Hamburger mit großer Mehrheit für Volksentscheide auf Landesebene gestimmt – und Hamburg damit bundesweit führend bei der direkten Demokratie gemacht. Für uns Politiker ist das nicht immer einfach: Alle Parteien, auch die Grünen, haben bittere Niederlagen eingefahren. Doch am Ende gewinnen wir alle.
Die Hamburger Politik ist seither dadurch lebendiger und bürgernäher geworden, das Mitspracherecht der Menschen ist größer als je zuvor. Zugegeben: Direkte Demokratie kann manchmal anstrengend für Abgeordnete und Senatoren sein. Die Politik muss sich häufiger und zu ganz konkreten Themen erklären, zuhören und vor Ort Flagge zeigen. Aber das ist es wert.
Denn ein Volksentscheid liefert mit seinem Ergebnis einen klaren Auftrag an die Politik und führt dazu, dass sich Hunderttausende Menschen ernsthaft mit komplizierten Sachfragen beschäftigen. Ich glaube: Mitsprache ist ein wichtiges Rezept gegen Politikverdrossenheit und Populismus. Bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD in Hamburg das bundesweit schlechteste Ergebnis eingefahren. Liegt das vielleicht auch daran, dass sich die Bürgerinnen und Bürger bei uns besser mitgenommen und eingebunden fühlen als anderswo?
Schon mehrere Male hat ein Volksentscheid eine stadtweite Debatte ausgelöst. Mein Einstieg in die Politik war im Jahr 2002 geprägt von der Frage, ob Hamburg seinen Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) verkaufen soll. Die CDU-Alleinregierung unter Ole von Beust wollte das so – ganz auf der Linie des damaligen Privatisierungswahns.
Gegen diesen Plan gab es Widerstand. Erst Zehntausende Unterschriften, dann Hunderttausende – und am Ende einen Volksentscheid, bei dem überwältigende 76,8 Prozent den Krankenhausverkauf ablehnten.
Das war 2004. Damals hatten Volksentscheide noch einen Haken: Sie waren nicht verbindlich. Die CDU hatte gleichzeitig zum Volksentscheid eine absolute Mehrheit bekommen, 47,2 Prozent, und entschied sich, das Ergebnis zum LBK-Verkauf eiskalt zu übergehen.
Heute sind sich fast alle einig: Das war ein kapitaler Fehler, ein richtiger Bock. Die Stadt verkaufte die Krankenhäuser an Asklepios, behielt selbst ein Viertel der Anteile. Der Eigner des Klinikkon
zerns ist heute Mehrfach-Milliardär. Und die Stadt Hamburg? Hat für ihren Anteil bisher noch keinen Cent Dividende gesehen – blieb aber auf Folgekosten in dreistelliger Millionenhöhe sitzen.
Schlechter kann ein Deal kaum sein. Auch für die CDU ging es nicht ganz so glänzend weiter, sie bekam zuletzt nur 15,9 Prozent der Stimmen – vielleicht auch wegen der langfristig ramponierten Glaubwürdigkeit bei dem Krankenhaus-Deal.
Als 2008 die Grünen in den Senat kamen, vereinbarten sie mit der CDU, dass Volksentscheide verbindlich werden. Das war nach dem Krankenhaus-Desaster überfällig. Beim Volksentscheid über die Primarschule im Jahr 2010 scheiterte ein gerade von den Grünen entwickelter Plan für längeres gemeinsames Lernen. Das war bitter. Aber Mehrheit ist Mehrheit. Über die Verbindlichkeit wurde damals nicht diskutiert. Wir haben das Ergebnis umgesetzt. Beim Olympia-Referendum 2015 war es genauso – die Mehrheit war dagegen. Die Bewerbung Hamburgs war damit tot.
Heute vor genau fünf Jahren – im September 2013 – hat ein Volksentscheid über den Rückkauf der Netze und für Fernwärme aus erneuerbaren Energien entschieden. Die ganze Stadt diskutierte über Privatisierung, Energiepolitik, Klimaschutz. Ein schwedischer Konzern schaltete Werbung auf Facebook, in U-Bahnen und Zeitungen und versuchte mit Millionen-Budgets sein lukratives Strom- und Fernwärmegeschäft zu sichern.
Das gelang nicht: Eine knappe Mehrheit entschied sich, die Netze nach dem Fehler der Privatisierung wieder zurück in die öffentliche Hand zu holen. Das Strom- und das Gasnetz sind inzwischen wieder städtisch. Und in diesen Tagen müssen wir den größten und wertvollsten Teil der Netze endgültig zurück in den Besitz der Stadt bringen – die Fernwärme.
Der schwedische Konzern wehrt sich dagegen noch mit Tricks und millionenteuren Anzeigenkampagnen. Für mich ein klarer Hinweis darauf, was für ein einträgliches Geschäft die Fernwärme ist. Und für ein langfristig sicheres Geschäft ist auch ein Kauf zum Mindestpreis zulässig. CDU und FDP unterstützen den Konzern nach Kräften, fordern – gegen den Mehrheitswillen – das Kohlekraftwerk Moorburg an die Fernwärme anzuschließen, konstruieren müde Argumente gegen den Rückkauf. Ich frage mich: Haben die denn nicht gelernt, dass es Vertrauen und Wählerstimmen kostet, wenn man Volksentscheide ignoriert?