Wie steht’s mit dem blauen Wunder?
Die Potenz-Pille ist für viele Männer ein Segen, aber der Leistungsdruck im Bett bleibt
HAMBURG – Pille einwer en – und dann läuft es rund beim Sex? So einfach ist es auch 20 Jahre nach dem Verkaufsstart des Potenzmittels Viagra nicht. Doch die blaue Pille hat trotzdem mehr als so manches Wunder im Bett bewirkt ...
„Der Leistungsdruck ist beim Sex nicht raus“, sagt der Hamburger Männerarzt Robert Frese, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Urologie, über das „blaue Wunder“. Der Anspruch habe sich im Prinzip nur verschoben. „Jetzt heißt es: Nimm doch die Pille. Wenigstens mit der musst du immer können.“
Als Segen sehen Mediziner die Tablette, die am 1. Oktober 1998 auf den deutschen Markt kam, trotzdem. Viagra sorgte nicht nur für so manches Wunder im Bett, sagt Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. Für ihn folgte eine Art Quantensprung in der Sexualmedizin. Die Schamschwelle, über ein drückendes Sex-Problem zu sprechen, sank.
Der Wirkstoff Sildenafil, dessen ungeahnte Wirkung Pharmaforscher der Firma Pfizer bei der Entwicklung eines Mittels gegen Bluthochdruck zufällig in den USA entdeckten, machte nämlich der bis dahin großen Ratlosigkeit der Ärzte beim Thema Erektionsstörungen ein Ende. Bis Viagra auf den Markt kam, blieb Medizinern wegen mangelnder Therapiemöglichkeiten nur, ihren Patienten eine Operation vorzuschlagen,
Vakuumpumpen mit Penisringen oder eine Spritze kurz vorm Sex. Aber „bevor sich deutsche Männer eine Spritze in den Penis jagen, verzichten sie lieber auf Sex“, sagt Sommer.
Auch deshalb habe Viagra eine solch durchschlagende Wirkung gehabt: endlich was Einfaches, das zudem das Thema Erektionsstörungen mit einem Schlag aus der Tabuzone holte. Heute ist bekannt, dass in Deutschland rund 20 Prozent aller Männer nicht können, wie sie wollen. „Mit jeder Altersdekade nimmt das Problem zu“, zitiert Sommer Umfragen. Zwischen 40 und 50 sei rund jeder Zehnte betroffen, über 70 bereits mehr als die Hälfte der Männer. Studien räumten auch mit Binsenweisheiten auf. „Vor Viagra ist man davon ausgegangen, dass bis zu 90 Prozent der Fälle psychisch bedingt sind“, berichtet Sommer. „Heute weiß man, dass es umgekehrt ist. Zuerst sind organische Probleme da.“Ende der 90er Jahre sorgten dann Schlagzeilen wie „Herzinfarkt nach Viagra!“für Panik. Heute sind die Zusammenhänge bekannt. Wer nach dem Schlucken der Pille den Herztod starb, hatte vorher in der Regel Herzprobleme, von denen er nichts ahnte. „Für Sex muss man einen gewissen Fitnessgrad besitzen“, erläutert Sommer. „Mit Herzinsuffizienz kann ich eine solche Leistung nicht schaffen, ohne mich in Gefahr zu bringen.“Doch ein verantwortungsvoller Arzt checke seinen Patienten vor einer Verschreibung durch. Hinter Erektionsstörungen könnten neben Herzleiden auch Diabetes, Depressionen, Bluthochdruck oder Prostataprobleme stecken, sagt Urologe Robert Frese. Den größten Druck machten sich die Männer jedoch weiter selbst. „Das Problem sitzt in den Köpfen“, so Frese. Ein Mann sei aber auch viel stärker auf eine körperliche Reaktion angewiesen als eine Frau, ergänzt er. „Klassischer Geschlechtsverkehr geht eben nur mit einer Erektion.“Und nicht jeder Mann stehe auf Kuschelsex.