Besucher fliegen aus NS-Opfer-Gedenkstätte
Warum 26 Touristen das Haus lassen mussten:
Stadthaus, immer wieder Stadthaus. Die umstrittene Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus macht seit ihrer Eröffnung Schlagzeilen. Nun wird der Buchhändlerin Stephanie Krawehl vorgeworfen, eine Besuchergruppe rausgeworfen zu haben, was sie selbst vehement bestreitet.
Die 26 Mitglieder der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) hielten sich vor wenigen Tagen in Hamburg auf, um sich über die NS-Zeit in der Hansestadt zu informieren. „Neben der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Mahnmal St. Nikolai wollten wir uns auch das Stadthaus anschauen, im Dritten Reich die Folterkeller der Gestapo“, so Stefan Walter, der Vorsitzende des BDZBezirksverbands Westfalen.
Dann die Überraschung: Kaum hatte die Gruppe die Buchhandlung „Lesesaal“betreten, zu der die Gedenkstätte gehört, kam es zu einer „unerfreulichen Begebenheit“. Inhaberin Stephanie Krawehl sei auf die Gruppe zugegangen, habe bemängelt, dass keine Voranmeldung erfolgt sei. „Dann wurden wir sehr unfreundlich aufgefordert zu gehen.“
Walter erzählt, dass die Ausstellungsfläche mit Stühlen vollgestellt war und die Ausstellungselemente zur NS-Geschichte des Stadthauses an die Wand geschoben gewesen seien. „Offenbar hatte es dort am Abend zuvor eine Lesung gegeben“, so Walter. „Wir sind dann nach draußen und haben uns den Vortrag über die Gräuel, die in diesem Gebäude passiert sind, dort angehört.“
Stephanie Krawehl stellt den Vorfall völlig anders dar. Demnach habe sie die Gruppe „höflich begrüßt, wie wir das immer tun“. Sie sei gerade dabei gewesen, die Stühle von der Lesung vom Abend zuvor wegzuräumen und habe die Gruppe gebeten, doch nach ein paar Minuten wiederzukommen. „Auf keinen Fall war es meine Intention, der Gruppe den Ausstellungsbesuch zu verweigern. Sollte sich dieser Eindruck vermittelt haben, so bedauere ich dies außerordentlich“, sagt Krawehl. Eine Antwort auf die Frage, wo geschrieben steht, dass sich Gruppen voranmelden müssen, erhielt die MOPO nicht. Die Gedenkstätte hat keine Homepage.
Was ist nun wirklich passiert? Für Aufklärung sorgt Pia Hartmer vom Landesjugendring. Sie hat die BDZGruppe beim Stadtrundgang geführt. Sie schüttelt angesichts der Stellungnahme Stephanie Krawehls den Kopf: „Freundliche Begrüßung? Sie hat uns einfach rausgeworfen und uns keineswegs gebeten, nach ein paar Minuten wiederzukommen. Frau Krawehl war nicht dabei, die Stühle wegzuräumen, sondern hatte gerade ein Verkaufsgespräch, bei dem wir offenbar störten.“
Stefan Walter bleibt ebenfalls bei seiner Darstellung. Der Vorfall habe bei den Angehörigen seiner Gruppe – Leute zwischen 26 und 86 Jahren – einen bitteren Beigeschmack hinterlassen.
Für Michael Joho von der Geschichtswerkstatt St. Georg beweist der Vorfall, dass es keine gute Idee war, aus einer Gedenkstätte „das Anhängsel“eines privat betriebenen Buchladens zu machen. Joho: „Ich führe selbst seit rund 30 Jahren Rundgänge durch und kann mir lebhaft vorstellen, was der Vorgang bei den Besuchern ausgelöst hat: Empörung über die Geschehnisse und die Ignoranz, Genervtheit über die ganze Anlage der ,Gedenkstätte‘, Enttäuschung über die geschichtsvergessene und verantwortungslose Politik des Senats, der sich ja nicht zuständig fühlt...Was für ein Armutszeugnis!“
Der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch ist entsetzt: „Ein solcher Vorfall zeigt erneut, wo das Problem liegt: Eine angemessene, würdige Gedenkstätte im Stadthaus fehlt nach wie vor!“
Schon seit Monaten gibt es um die Gedenkstätte Streit. Die Initiative Gedenkort Stadthaus kritisiert scharf die „Minimallösung“, auf die sich Kulturbehörde und Baufirma Quantum geeinigt haben: nämlich die Kombination aus Buchhandlung, Café und Gedenkstätte.
Hinzu kommt, dass sich Buchhändlerin Stephanie Krawehl in den vergangenen Monaten nicht immer glücklich verhielt. Anfangs hatte sie behauptet, ihre eigene Großmutter sei als NS-Verfolgte im Stadthaus verhört worden – deshalb liege ihr die Sache so am Herzen. Später brachten Historiker ans Licht: Die Oma war nicht Verfolgte, sondern Mitglied der NSDAP.