Hamburger Morgenpost

Das tödliche Drama um den Obdachlose­n

Nach Warnschuss: Beamte erschießen einen jungen Obdachlose­n – das Ende eines kurzen tragischen Lebens

- OLAF WUNDER o.wunder@mopo.de

Jeder in Bad Oldesloe kannte Robin L. Nein, nicht mit Namen. Aber vom Sehen garantiert. Das war der Obdachlose, der immer in fürchterli­ch herunterge­kommener Kleidung durch die Straßen lief, oft barfuß. Der immer den Kopf mit den verdreckte­n blonden Locken gesenkt hatte und aus seinem eigentlich hübschen Gesicht verstört dreinschau­te. 21 Jahre alt war er, als er am Sonntagnac­hmittag starb. Getroffen von zwei Kugeln aus einer Polizeiwaf­fe.

Musste Robin L. wirklich sterben? War das nötig? Gab es keinen anderen Ausweg? Wäre das alles zu verhindern gewesen, wenn diesem jungen Mann jemand rechtzeiti­g geholfen hätte?

Nach Lesart von Staatsanwa­ltschaft und Polizei ist am Sonntag Folgendes passiert: Bei der Polizei in Bad Oldesloe sei um kurz nach 11 Uhr ein Notruf eingegange­n. Ein Passant sah in der Nähe der Schwimmhal­le Travebad einen Mann, der mit einem Messer in der Hand durch die Straßen lief.

Aufgrund der Beschreibu­ng ahnten die Beamten schon, dass es sich um Robin L. handeln könnte. In der Schützenst­raße trafen sie ihn an. Ein Beamter soll einen Warnschuss abgegeben haben. Als Robin L. sein Messer daraufhin immer noch nicht weglegte, sei Pfefferspr­ay eingesetzt worden. Als daraufhin der 21Jährige eine „gegen den Oberkörper der Beamten gerichtete Stichbeweg­ung“ausführte, feuerte ein Polizist um 11.25 Uhr zwei Mal auf den Angreifer und traf ihn in der Brust. Robin L. starb noch am Ort des Geschehens, zwischen Gartenzaun und Straße.

Gestern, am Tag danach, wird bekannt, dass der getötete Mann eine ziemlich lange Liste an Vorstrafen aufzuweise­n hatte. Schwere Diebstähle, Autoaufbrü­che und mit dem Messer hat er auch früher schon mal jemanden bedroht. Das klingt alles nach einem Verbrecher. Nach einem, der unser Mitleid nicht verdient.

Doch es gab auch die andere Seite von Robin L. Denn im Laufe des Tages finden sich immer wieder Menschen in der Schützenst­raße ein, die dort, wo Robin L. sein Leben aushauchte, Kerzen anzünden und Blumen auf den Bürgerstei­g legen. Leute wie Beate und Sina.

Sie erzählen, dass sie nie ein Wort gesprochen haben mit Robin L., dass sie nicht mal seinen Namen wussten, aber dass sie ihn kannten, weil er wie selbstvers­tändlich zum Stadtbild gehörte. Und dass sie immer Mitleid mit ihm hatten. „Jeder hat gesehen, wie krank und fertig er war. Psychisch am Ende.“Aggressiv, nein, das sei er nie gewesen.

Oder Ralf Reinholdt, der Robin L. mal dabei ertappte, wie der aus seinem Ascheimer Zigaretten­kippen mopste. „Ich habe ihm dann immer mal Tabak geschenkt, dem armen Kerl.“Ein Messer habe Robin L. übrigens immer dabeigehab­t. Er habe das auch oft in den Händen gehalten, weil er damit Konservend­osen öffnete und aß. „Gewalttäti­g habe ich ihn nie erlebt, im Gegenteil. Er war immer lammfromm!“

Oder ein Mann, dessen Namen wir nicht nennen dürfen, der aber Robin L. betreut hat. „Psychisch ist er sehr, sehr krank gewesen, hat sich aber nie helfen lassen, was ganz typisch für solche Menschen ist“, erzählt er, schüttelt mit dem Kopf, wischt sich eine Träne weg: „Natürlich hat der mal was geklaut – wie jeder, der auf der Straße lebt –, aber ein Kriminelle­r, nein, ein Kriminelle­r war er nicht. Herumgesch­ubst haben sie ihn, ihn ausgelacht, ihn verjagt, ihn auf der Straße bestohlen. Ein Opfer war er, kein Täter.“

Immer wieder werden Fragen gestellt: Musste der Beamte wirklich schießen? Warum auf den Brustkorb? Hätte es nicht ausgereich­t, auf Arme oder Beine zu feuern und ihn so kampfunfäh­ig zu machen? Ein Passant erinnert daran, dass Robin L. 60 Kilo wog, „wenn’s hochkommt“. Und dann fragt er: „Vier Beamte brauchen eine Schusswaff­e, um den zu stoppen?“

Doch es gibt auch andere Fragen, die gestellt werden müssen: Etwa die, was passiert wäre, wenn der Polizist nicht gefeuert hätte? Wäre jetzt vielleicht einer der Beamten tot? Und überhaupt: Wie geht es dem Mann, der schoss?

Robin L. wurde 21 Jahre alt. Er stammte aus gutem Elternhaus. Seine Mutter hat ihn geliebt und ist schier verzweifel­t, dass ihr Sohn durch seine psychische Erkrankung auf der Straße landete.

Die MOPO hat gestern einige seiner Mitschüler und Jugendfreu­nde gesprochen. Zu hören, dass Robin erschossen worden ist, weil er auf Polizisten losgegange­n sein soll, hat sie fassungslo­s gemacht. Nick Sch. war seit dem ersten Schultag Robins bester Kumpel. Und er sagt: „Robin war ein herzensgut­er Mensch.“

 ??  ?? Von zwei Kugeln getroffen liegt Robin L. auf dem Bürgerstei­g. Ein Beamter steht daneben.
Von zwei Kugeln getroffen liegt Robin L. auf dem Bürgerstei­g. Ein Beamter steht daneben.
 ??  ?? Schützenst­raße in Bad Oldesloe: Kerzen und Blumen liegen dort, wo Robin L. starb.
Schützenst­raße in Bad Oldesloe: Kerzen und Blumen liegen dort, wo Robin L. starb.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany