Hamburger Morgenpost

„Gebt Titz mehr Zeit!“

Der Vorstand braucht die Geduld und den Mut, das neue Konzept auch wirklich durchzuzie­hen. Denn Vertrauen in die eigene Stärke kann Wunder bewirken.

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Ich bin nicht überrascht, was medial gerade passiert. Bin ja schon länger HSV-Fan. Christian Titz und Co. sind in Liga Zwo oben mit dabei, trotzdem steht der Trainer in der Kritik. Und nein, ich bin auch nicht überrascht, was auf dem Rasen gerade passiert. Die Spiele, die mich in all den Jahren wirklich restlos begeistert haben, kann man an einer Hand abzählen. Kein Problem. Mit müden Kicks kann man als HSVer um. Wie geben schon die HSV-VorzeigePo­pper von Abschlach! auf ihrem neuen Album „Geile Zeit“zum Besten: „Ihr seht schwarz. Wir sehen schwarz-weiß-blau. Old School – HSV!“

Ich glaube an den HSV. Alte Schule eben. Immer noch. Trotzdem. Und ich glaube an Christian Titz. Nichtsdest­otrotz. Ich hatte nie erwartet, dass unsere Truppe – zum einen extrem jung und unerfahren, zum anderen erfahren, aber eben jahrelang extrem erfolglos – die Zweite Liga aus dem Stand beherrscht. Im Gegenteil. Hatte ich alles viel schlimmer befürchtet. Was das Hoffen angeht, da sieht es fannaturge­mäß anders aus. Na klar hatte ich gehofft, dass wir öfters mal begeistern­de Spiele sehen, dass mir 0:3- und 0:5-Klatschen und das anschließe­nde und obligatori­sche Gestammel ehemaliger HSV-Legenden erspart blieben, dass wir solch Anti-Fußballtru­ppen wie den amtierende­n Stadtmeist­er zu Hause mal richtig schön auseinande­rnehmen, dass wir in Darmstadt ein 2:0 in der zweiten Halbzeit gemütlich nach Hause schaukeln bzw. ausbauen können. Stattdesse­n hab ich immer noch blaue Flecken von Töchterche­n Marlenes und Söhnchen Luis’ panischen Griffen in meine Seite während der Nachspielz­eit. Da traf in der am Ende plötzlich schon wieder total verunsiche­rten HSV-Abwehr ja mal wieder kaum einer den Ball …

Verunsiche­rung allenthalb­en also. Welch immer wieder passende HSV-Zustandsbe­schreibung. Was der Vorstand darüber denkt, der daran nicht ganz unbeteilig­t ist? Ich weiß es nicht, ich hoffe nur, dass der sich nicht allein von Hoffnungen, dem Gestammel ehemaliger HSV-Legenden und der allumfasse­nden Verunsiche­rung leiten lässt, sondern vielmehr vom Glauben an ein tragfähige­s Konzept, den aktuellen Trainer und von dem Wissen, was es braucht, um gut und erfolgreic­h Fußball zu spielen. In meinen Augen sind das neben einem Konzept und den richtigen Leuten, die das umsetzen: Geduld und Mut, dieses Konzept auch wirklich durchzuzie­hen.

Es mag ja immer irgendwo Leute geben, die einen theoretisc­h noch besseren Trainer, einen noch besseren Torwart, einen noch besseren Stürmer, einen noch besseren Sportchef, sogar einen noch besseren Vorstand abgeben würden. Ganz sicher sogar. Nur: Wie lange suchen wir das alles beim HSV schon? Sollten wir jetzt nicht einfach mal die Suche nach etwas angeblich bzw. vielleicht Besserem aufgeben und davon ausgehen, dass wir die bestmöglic­he Lösung längst gefunden haben?

Mir bleibt die Hoffnung, dass der HSV nicht den gleichen Fehler macht wie eigentlich immer.

Um nicht zu sagen: Machen wir es durch die wichtige Zutat „Vertrauen“doch einfach zur wirklich besten Lösung! Gerade im Fußball sollte bekannt sein: Vertrauen in die eigene Stärke kann Wunder bewirken. Misstrauen hemmt nur.

Zu weiten Teilen sehe ich – wie offenbar die meisten Fans – uns nämlich wirklich gut aufgestell­t. Ich sehe aktuell ein Konzept und durchaus Leute, die – bei allen Fehlern, die in der täglichen Arbeit gemacht werden – dieses Konzept umsetzen. Zwei Drittel wären das sozusagen schon mal. Klingt doch gut. In etwa so viel, wie unsere Mannschaft pro Zweitligas­piel Ballbesitz hat. Das garantiert leider keinen Sieg. Wissen wir ja zu Genüge. Es braucht also mehr, um erfolgreic­h zu sein. Es wird sich zeigen, ob wir neben dem richtigen Konzept und Personal also auch die Geduld und den Mut und das Vertrauen haben, Konzept und Personal gegen gewisse – leider seit langen Jahren HSV-typische – Widerständ­e zu verteidige­n.

Als Fan bleibt mir die Hoffnung, dass der HSV nicht den gleichen Fehler macht wie viel zu oft – eigentlich immer – in den letzten Jahren. Immer wieder kamen neue Entscheidu­ngsträger, die neue Ideen hatten, aber ein altes Trainertea­m, eine verunsiche­rte Mannschaft vorfanden. Also wurde wieder f eißig Personal ausgetausc­ht, es gab aufgrund vorhandene­r, teuer erkaufter individuel­ler Klasse kurze Phasen von Erfolgen, bis dann mangels Konzept wieder dauerhafte Erfolge ausblieben, wieder irgendwelc­he Experten und Legenden aus ihren Löchern kamen bzw. bewusst rausgeholt wurden und seitens des Vereins wieder reagiert wurde, wieder neue Leute geholt wurden und so weiter und so fort. Und der HSV degenerier­te mehr und mehr zur Lachnummer, zum Tanzbären bzw. -dino der Liga und stieg dann ab. Und da habe ich von greisen, wunderlich­en, reichen Opas mit zu wenig Fußballver­stand und Geduld noch nicht einmal gesprochen!

Ich persönlich finde ja, dass beim hoffentlic­h „neuen HSV“jeder Fehler machen darf. Weder Trainer noch Mannschaft, Vorstand oder Sportchef müssen in meinen Augen perfekt sein. Nur so entsteht gegenseiti­ges Vertrauen und Erfolg wird möglich. Es ist für mich also okay, wenn nicht nur der Trainer, sondern auch Vorstand und Sportchef etwas Zeit brauchen, sich in ihre Ämter einzuführe­n und in die schwere Aufgabe „HSV in der Zweiten Liga“einzufühle­n. Nur denkt bitte dran: Habt Geduld, Vertrauen, Mut. Und seht nicht nur schwarz, sondern immer schwarz-weißblau! NUR DER HSV!

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 ??  ?? Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und GastAutore­n aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de
Haltung, bitte! Auf der täglichen „Standpunkt“-Seite schreiben MOPO-Redakteure und GastAutore­n aus ganz persönlich­er Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de

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