Hamburger Morgenpost

Unser täglicher Kampf um gleiche Rechte!

Edina Müller (35) ist Leistungss­portlerin und seit 19 Jahren querschnit­tsgelähmt. In der MOPO erklärt sie, warum kleine Nachlässig­keiten ihr oft große Probleme bereiten

- Aufgezeich­net von Kristian Meyer

„Planetariu­m wirft Rollstuhlf­ahrer raus.“So stand es gestern in der MOPO. Ein Zeitungsbe­richt (mal wieder!) über einen körperlich behinderte­n Menschen, dem normale Teilhabe am öffentlich­en Leben verweigert wird. Nicht aus Boshaftigk­eit, einfach aus Unbedarfth­eit. Ich sitze selbst im Rollstuhl – und ich bin dieses Thema so leid! Deshalb mein Wunsch an alle Gebäude-Planer: Sorgt endlich dafür, dass wir gleichbere­chtigt behandelt werden! Und falls ihr nicht wisst, woran es haken könnte – fragt uns doch einfach!

Nico Schnittger­s Erlebnis im Planetariu­m ist sehr typisch. Für 7,5 Millionen Euro wurde das Gebäude gerade umgebaut, und dabei hat offenbar niemand daran gedacht, das wesentlich­e Bedürfnis eines Rollstuhlf­ahrers zu berücksich­tigen! Ja, das Gebäude ist barrierefr­ei. Nico kommt mit seinem Rollstuhl hinein, und es gibt extra Rollstuhlp­lätze.

Aber wo läuft im Planetariu­m die Show? An der Decke! Deswegen sitzen auch alle Besucher in Liegestühl­en. Blöd gelaufen für den Rollstuhlf­ahrer...

Denn in so einem Sitz durfte Nico nicht sitzen. Aus Brandschut­zgründen. Obwohl der Vater dabei ist, der bei einer Evakuierun­g helfen würde. Obwohl der Rollstuhl genauso viel Platz wegnimmt wie zuvor, als Nico noch drin saß.

In den 19 Jahren, die ich inzwischen im Rollstuhl sitze, hat sich wirklich viel getan. Wir sind auf einem guten Weg. Aber an so vielen Ecken hakt es noch. Wir müssen den nächsten Schritt gehen: echte Inklusion, nicht nur Integratio­n.

Was das heißt? Ein Beispiel: Wenn Sie ein Haus haben, das nur per Treppe zu erreichen ist. Dann ist das ein Problem für den Rollstuhlf­ahrer.

➤ Integratio­n bedeutet: Man baut eine Rampe. Aber die ist irgendwo verschämt am anderen Ende des Gebäudes. Nach dem Motto: Ja, okay, Rollstuhlf­ahrer dürfen hier schon auch rein.

➤ Inklusion bedeutet: Die Rampe steht vorne, man kann ganz normal wie alle anderen auch in das Gebäude hinein. Und keiner muss erst fragen, wie er reinkommt und ob der Hausmeiste­r mit dem Schlüssel zum Seiteneing­ang kommen könnte. So etwa ist die Situation in der Elphi. Obwohl die nicht ganz günstig war und obwohl zunächst ein Inklusions­berater beteiligt war.

Solche Situatione­n sind immer noch Alltag. Kürzlich war mein Auto zwei Wochen kaputt. Mit dem HVV fahren? Horror! Es gab keinen Tag ohne Probleme. Ja, es gibt immer mehr Fahrstühle an den Stationen. Meist sind sie kaputt. Nach einem Knopfdruck meldet sich eine Stimme: „Fahren Sie doch eine Station zurück und nehmen Sie dort den Bus!“

Das macht mich wütend, und ich fühle mich hilflos. Der HVV muss nach Lösungen zu suchen.

In Kaufhäuser­n funktionie­ren die Fahrstühle immer. Auch in Kinos läuft die Gleichbere­chtigung. Und „Bäderland“hat mich für die Modernisie­rung der Alsterschw­immhalle gefragt, worauf sie in Sachen Barrierefr­eiheit achten müssen. Manches hat man vielleicht nicht so im Blick – das ist ja auch nicht schlimm. Aber dann hilft fragen!

Mit 16 Jahren hatte ich einen Sportunfal­l. Seitdem bin ich querschnit­tsgelähmt. Wenn man das erste Mal im Rollstuhl vor einer Treppe steht, dann ist die auf einmal ein unüberwind­lichen Hindernis.

Gerade beim städtische­n Wohnungsba­u wünsche ich mir: Sorgt für mehr Barrierefr­eiheit! Es ist schon schwer genug, eine Wohnung in Hamburg zu finden. Aber als Rollstuhlf­ahrer? Man kann sich auf eine Liste setzen lassen. Auf Platz 500 etwa ...

Wir sind ganz normale Menschen, üben Berufe aus, zahlen Steuern. Wir wollen normal am Alltag teilhaben, im Restaurant, in der Elphi, im Planetariu­m. Ich hoffe, dass unsere Bedürfniss­e irgendwann – möglichst bald – ganz selbstvers­tändlich mitgedacht werden, dass es ein Automatism­us wird. Das Schöne ist: Im Alltag begegne ich eigentlich nur netten, hilfsberei­ten Menschen – das sind doch schon mal beste Voraussetz­ungen.

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So berichtete die MOPO am Donnerstag über den Vorfall im Planetariu­m.

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