Hamburger Morgenpost

Auf den Straßen von Hamburg

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Wie es so weit kommen konnte, ist unklar. Die Beamten wurden gerufen, weil Fußgänger sahen, wie ein Mann mit einem Messer in der Hand durch die Gegend lief. Aufgrund der Beschreibu­ng ahnten die Polizisten schon, auf wen sie treffen würden. Als sie ihn entdeckten, eskalierte die Situation.

In Zeitungsbe­richten ist zu lesen, dass der Mann Stichbeweg­ungen in Richtung der Beamten machte. Daraufhin fielen zwei Schüsse. Die Kugeln trafen ihn in die Brust. Er verblutete direkt vor Ort. Fragen tauchen auf: Warum wurde eine Waffe eingesetzt? Wieso schießt man in den Oberkörper und nicht woandershi­n – in die Beine? Der Beamte, der geschossen hat, steht unter Schock.

Mir gehen viele Sachen durch den Kopf. Ich komme nicht drum herum, daran zu denken, dass ich das hätte sein können. Ich war selbst auch mit 21 Jahren auf der Straße. Manchmal stand ich so sehr mit dem Rücken zur Wand. Oft fand ich nur einen Ausweg: kriminell werden. Ich wollte vieles nicht tun, ich musste aber. Das dachte ich zumindest.

Der junge Mann hatte eine dicke Strafakte. Er hat Autos geknackt und Diebstähle begangen. Das habe ich auch getan. Ich habe lieber ein Radio aus dem Auto geklaut und verkauft, als einen Menschen auszuraube­n. An manchen Tagen hatte ich solchen Hunger, dass ich im Supermarkt Lebensmitt­el geklaut habe.

Seit Jahren sehen die Menschen in Bad Oldesloe den Mann. Sie sagen, er gehörte irgendwie zum Stadtbild. Gesprochen hat keiner mit ihm, aber Mitleid, das hatten sie alle.

Ich habe von Menschen gelernt, die Hartes durchmacht­en, dass es eine Sache gibt, die sie nicht wollen: Mitleid. Denn Mitleid alleine bringt wenig, wenn es nicht in Handlungen umgesetzt wird.

So ging ein Mensch verloren. Er war psychisch krank. Dies war ebenfalls bekannt. Ich bin mir sicher: Psychische Erkrankung­en bringen mehr Menschen auf die Straße, als man denkt. Es ist immer noch ein Tabuthema. Ist man nicht krank, sorgt die Straße dafür, dass man es wird. Aus Lebensumst­änden können psychische Probleme resultiere­n.

Es hat sich einfach niemand richtig gekümmert. Oft wird der Versuch zu helfen beim ersten „Nein“abgebroche­n. Dann heißt es: Der lässt sich nicht helfen. Dann wird man alleingela­ssen. Es zeigt mir, wie wir Menschen einfach so durchs Raster fallen lassen, ihnen einen Stempel aufdrücken und sie dann ihrem Schicksal überlassen.

Für Robin ist es zu spät. Ruhe in Frieden.

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